Schon wieder haben die Finnen gewonnen.
Zum achten Mal in Folge.
Sie sind schon wieder das glücklichste Land der Welt – laut dem jährlichen Glücksreport der Universität Oxford.
Während wir hier grübeln, warum unser Leben nicht so läuft, wie wir es uns vorgestellt haben, machen die Nordländer etwas ganz anderes.
Sie erwarten weniger.
Sie erwarten weniger von ihrem Staat.
Sie erwarten weniger von ihren Mitmenschen.
Sie erwarten weniger von sich selbst.
Ist das deprimierend?
Finde ich nicht.
Ich finde es genial.
Die Finnen sind einfach Meister im Erwartungsmanagement.
Sie rechnen nicht damit, dass der Tag perfekt wird.
Sie erwarten nicht, dass ihr Partner ihre Gedanken liest.
Sie gehen nicht davon aus, dass das Wetter mitspielt oder der Chef gute Laune hat.
Und genau deshalb sind sie glücklicher als wir.
Denn während du dich ärgerst, dass dein Morgen nicht so lief wie geplant, denkt sich der Finne:
“Immerhin regnet es nicht so stark wie gestern.”
Das ist kein Pessimismus.
Das ist strategischer Realismus.
Findest du das traurig?
Ich nicht, ich finde das befreiend.
Denn deine Erwartungen sind Gefängnisse für dein Glück.
Sie sperren dich ein in eine Welt, die nur in deinem Kopf existiert.
Eine Welt, in der alles glatt läuft, alle nett sind und du immer perfekt funktionierst.
Die reale Welt funktioniert anders.
Hier liegt das Problem:
Deine Unzufriedenheit entsteht nicht durch das, was passiert.
Sie entsteht durch den Abstand zwischen dem, was passiert, und dem, was du erwartet hattest.
Du erwartest vom Montag, dass er leicht wird.
Es ist aber ein typischer Montag.
Und du bist frustriert.
Du erwartest von deinem Partner, dass er versteht, was du brauchst.
Er versteht es nicht.
Du bist enttäuscht.
Du erwartest von dir selbst, dass du heute produktiv bist.
Du bist es nicht.
Und du hast ein schlechtes Gewissen.
Die Finnen machen es anders.
Sie haben eine kulturelle Eigenschaft namens “Sisu” – grob übersetzt:
“Wir kommen auch mit Mist klar.”
Sie erwarten Probleme.
Sie rechnen mit Schwierigkeiten.
Sie gehen davon aus, dass nicht alles nach Plan läuft.
Und wenn es dann besser wird, als ich erwartet habe.
Yess, dann ist das ein großes Geschenk.
Aber macht uns das nicht zynisch und negativ?
Nein.
Das macht einen eher dankbar.
Wenn du erwartest, dass dein Tag mittelmäßig wird, und er wird tatsächlich nur mittelmäßig – dann war er genau richtig.
Wenn er besser wird – dann ist das ein Bonus.
Wenn du erwartest, dass Menschen manchmal unfreundlich sind, und jemand ist freundlich – dann machst du einen kleinen Luftsprung.
Wie stellst du das praktisch an?
Morgens:
Statt zu erwarten “Heute soll ein großartiger Tag werden“,
denke lieber „Heute passieren Dinge. Manche werden okay sein.”
Bei Terminen:
Statt zu denken „Das Gespräch läuft bestimmt super”,
denke ich lieber “Ich gebe mein Bestes. Wie es ankommt, sehen wir.”
Mit Menschen:
Statt “Sie werden verstehen, was ich meine”,
denke lieber “Ich erkläre es so gut, wie ich es kann. Ob sie es verstehen, werden wir sehen.“
Von dir selbst:
Statt “Ich schaffe heute alles”,
denke ich “Ich mache, was ich kann.”
Merkst du den Unterschied?
Es geht nicht darum, pessimistisch zu werden.
Es geht darum, realistisch zu werden.
Die Welt schuldet dir keinen perfekten Tag.
Dein Partner schuldet dir keine Gedankenübertragung.
Du selbst schuldest dir keine Perfektion.
Das Paradoxe daran:
Je weniger du erwartest, desto öfter wirst du positiv überrascht.
Je öfter du positiv überrascht wirst, desto dankbarer wirst du.
Je dankbarer du wirst, desto glücklicher bist du.
Die Finnen haben das verstanden.
Deshalb sitzen sie entspannt in ihren Saunas, trinken ihren Kaffee und freuen sich über Kleinigkeiten, die wir für vollkommen selbstverständlich halten.
Probier es diese Woche mal aus:
Erwarte weniger. Sei dankbar für das, was kommt.
Vielleicht entdeckst du dabei ein Stück finnisches Glück.
Alles Gute für dich.
@Ralf Senftleben (Zeit zu leben)
Fotonachweis: unsplash.com / @Alex Reynolds