Thomas liebt seine Susanne.
Auch wenn Susanne … sagen wir mal … nicht die Ordentlichste ist.
An den guten Tagen kann er das gut aushalten.
Aber wenn Thomas müde oder nicht gut drauf ist, dann wird er wirklich wütend, wenn wieder etwas herumliegt.
Wenn Thomas entspannt ist, bemerkt er es gar nicht.
An richtig guten Tagen findet er Susannes Chaos sogar charmant.
Das ist der entscheidende Punkt: Die Unordnung löst nicht automatisch Wut aus.
Sein innerer Zustand bestimmt, ob er überhaupt Wut empfindet.
Das bringt uns zu einer wichtigen Unterscheidung:
Fühle ich ein Gefühl, weil jemand anderes etwas getan oder nicht getan hat?
Oder fühle ich meine Gefühle eher
- weil ich das Verhalten des anderen auf eine bestimmte Art bewerte,
- weil ich Erwartungen habe,
- weil ich müde bin,
- weil mir gerade sowieso alles zu viel ist?
Ist der andere die Quelle meiner Gefühle?
Haben die anderen also die Fernbedienung für mein Innenleben?
Oder mache ich meine Gefühle in erster Linie selbst?
Vielleicht sagst du: Das ist doch Wortklauberei.
Aber ich sage: Das ist Macht.
Solange du sagst „DU machst mich wütend“, gibst du die Kontrolle ab.
Du machst andere verantwortlich für deine Gefühle.
Du wirst zum Opfer ihrer Launen.
Wenn du aber daran glaubst, dass deine Wut dir gehört, dann gehört dir auch die Macht darüber.
Dann kannst du fragen:
„Warum reagiere ich heute so?
Was ist in mir los?“
Dann kannst du wählen:
Lasse ich mich von meiner Wut steuern?
Oder steuere ich sie?
Aber das stimmt doch nicht!
Wenn mein Chef mich vor allen anderen unfair kritisiert, dann ist es doch seine Schuld, dass ich wütend werde!
Klar, sein Verhalten ist der Auslöser.
Niemand bestreitet das.
Aber warum wirst du wütend, während deine Kollegin bei derselben Kritik nur die Schultern zuckt?
Gleicher Chef. Gleiche Kritik. Unterschiedliche Reaktionen.
Der Unterschied liegt nicht im Chef.
Der Unterschied liegt in euren verschiedenen Bewertungen der Situation.
Du denkst vielleicht:
„Das ist ungerecht! Das darf er nicht!“
Sie denkt:
„Der hat wohl schlechte Laune. Egal.“
Deine Bewertung macht deine Wut. Nicht der Chef.
Jetzt sagst du vielleicht:
„Schön und gut. Aber ich kann doch nicht einfach aufhören, wütend zu werden. Manche Reaktionen passieren automatisch!“
Du hast völlig recht.
Manche emotionalen Reaktionen sind so tief programmiert, dass du sie erstmal nicht ändern kannst.
Wenn dich jemand anschreit, wirst du wahrscheinlich automatisch gestresst.
Wenn dir jemand an den Karren fährt, wirst du wahrscheinlich erstmal sauer.
Das ist normal. Das ist menschlich.
Aber – und das ist entscheidend – du hast trotzdem Optionen:
Option 1: Du kannst lernen, deine Auslöser zu erkennen und zu vermeiden.
Option 2: Du kannst lernen, schneller aus der Wut herauszukommen, statt stundenlang zu grübeln.
Option 3: Du kannst lernen, trotz Wut besonnen zu handeln, statt blind zu reagieren.
Option 4: Du kannst deine Grundhaltung langfristig ändern, sodass dich weniger Dinge triggern.
Deine Wut liefert dir also ein krasses Trainingsprogramm, um als Mensch reifer und erwachsener zu werden.
Jetzt denkst du vielleicht:
Aber soll ich mir denn alles gefallen lassen?
Nein! Natürlich nicht.
Du darfst Grenzen setzen.
Du darfst dich wehren.
Du darfst Konsequenzen ziehen.
Aber tu es bewusst.
Nicht aus blinder Wut.
Tu es, weil du entscheidest, dass das richtig ist.
Nicht, weil deine Emotionen dich dazu zwingen.
Wenn dich das nächste Mal jemand „wütend macht“, halte kurz inne.
Sag nicht: „Du machst mich wütend.“
Sag: „Ich werde gerade wütend.“
Spürst du den Unterschied?
Im ersten Fall bist du Opfer.
Im zweiten Fall behältst du die Macht über dich und dein Leben.
@Ralf Senftleben (Zeit zu leben)
Fotonachweis: unsplash.com / @Joanne Glaudemans







