Im World Happiness Report landen die Dänen immer auf den vorderen Plätzen. In 2022 auf Platz 2.
Woran liegt es, dass die Dänen so glücklich sind?
Fragst du einen Dänen, zuckt er wahrscheinlich nur mit den Schultern.
Das ist, als ob du Wasser fragst, warum es nass ist.
Aber neulich habe ich einen Dänen in einem Interview sagen hören:
Das Geheimnis des Glücks? Das sind niedrige Erwartungen.
Das ist ja logisch.
Enttäuschungen sind ja bekanntlich eine der großen Dämpfer des Wohlgefühls.
Wer nichts erwartet, kann nicht enttäuscht werden.
Niedrige Erwartungen also.
Als Geheimnis des Glücks.
Ich bin ganz ehrlich, als Lebensgestalter tue ich mich mit dieser Erklärung schwer.
Oder anders gesagt, ich will sie nicht so richtig wahrhaben.
Denn sind es nicht meine hohen Erwartungen, die mich immer dazu getrieben haben, mein Leben in die richtige Richtung zu lenken?
In Richtung Selbstverwirklichung.
In Richtung der Themen, die mich gerade inspirieren und beschäftigen.
In Richtung meiner Werte.
In Richtung der Dinge, die mir wirklich etwas bedeuten. Wie Selbstbestimmung. Freundschaft. Und Kreativität.
Also in die Richtung, wo ich noch mehr ich selbst sein kann.
Ich will sagen: Meine hohen Erwartungen an mein Leben haben sich ausgezahlt.
Aber ich weiß auch, dass mich mein Leben lang die Unzufriedenheit begleitet.
Unzufriedenheit hilft dir heute nicht, glücklich zu sein. Eher im Gegenteil. Aber sie kann dich dazu bringen, etwas zu ändern. Damit du morgen umso glücklicher sein kannst.
Ja, tatsächlich ist meine Unzufriedenheit die Triebfeder hinter vieler meiner Projekte gewesen.
Die Triebfeder hinter meiner Selbstständigkeit.
Auch hinter den vielen Richtungswechseln als Selbstständiger.
Sobald ich merke, dass die Wirklichkeit und meine Erwartungen an mein Leben zu sehr auseinanderdriften, ändere ich etwas.
So wie ein Schiff, das vom Kurs abkommt.
Du schaust auf die Karte und merkst, du bist nicht mehr da, wo du sein willst.
Der Kurs wird korrigiert.
Und du fährst wieder in die richtige Richtung.
Bis du wieder vom Kurs abkommst und das Spiel geht wieder von vorn los.
Weil die Welt um dich sich ändert.
Weil deine Sicht auf die Welt sich ändert.
Und sich auch deine Vorlieben, Bedürfnisse und Ziele sich ändern.
Je nach Erfahrung und manchmal auch einfach nur, weil du älter wirst.
Niedrige Erwartungen: Du nimmst, was kommt. Du genießt, was du hast. Du konzentrierst dich auf das, was gut in deinem Leben ist. Was nicht stimmt, nimmst du stoisch hin.
Das ist durchaus ein funktionierendes Lebenskonzept. Das weiß ich wohl.
Aber mir ist das zu wenig.
Dazu habe ich zu viele Ideen. Zu viel Gestaltungswunsch. Zu viel Freiheitsliebe.
Vielleicht ist das mit den niedrigen Erwartungen in Dänemark auch einfacher.
Ich habe den Eindruck, dass sich die skandinavischen Länder besser um ihre Bürger kümmern, als bei uns. Dass die Dänen das Gefühl haben, dass ihr Staat in ihrem Interesse handelt und auf sie aufpasst.
Was darauf hindeuten würde, wie wichtig die Umstände und unser Umfeld für unser gefühltes Lebensglück sind.
Aber das ist nur eine Theorie. Wissen tue ich es natürlich nicht.
Ja, niedrige Erwartungen als Glücksfaktor.
Vielleicht kann ich das dennoch in meine Lebensphilosophie einbauen.
Ich habe weiterhin eine hohe Erwartung an mich selbst und an meine Lebensqualität. Was mich dazu bringt, mein Leben weiter zu in die für mich beste Richtung zu lenken und zu steuern.
Natürlich in Abstimmung mit meiner Frau und den Kindern. Schließlich bin ich keine Insel.
Aber was wäre, wenn ich meine Erwartungen an andere noch weiter herunterschrauben würde?
- Meine Erwartungen an unsere Vertreter des Staates, sie mögen sich ehrlich, integer und fair verhalten und im Interesse der Bürger handeln. Weg damit.
- Meine Erwartungen an andere Menschen, sie mögen einigermaßen anständig, selbstverantwortlich und tolerant sein. Weg damit.
- Meine Erwartungen an die Kinder, sie mögen ihr Zeugs allein wegräumen, sodass du nicht ständig hinter ihnen herräumen musst. Weg damit.
Einfach mal eine Liste machen mit Dingen, über die ich mich aufrege und die wirklich nicht in meinem direkten Einflussbereich liegen.
Und hier per innerer Verordnung meine Erwartungen um 80 % in diesen Bereichen senken.
Ja, ich schätze, das würde mein Glücks- und Gelassenheits-Niveau noch einmal deutlich steigern.
Klug wäre es auch. Denn warum sollte man sich über Dinge aufregen, die du beim besten Willen nicht ändern kannst?
Und so entsteht ein Wunsch, ein Vorsatz, ein Ziel für 2023 in meinem Kopf.
Ein Ziel, das darauf wartet, verwirklicht zu werden.
Damit ich neben den Dänen auch mit auf Platz 2 des World Happiness Reports 2023 lande.
Und? An welcher Stelle willst du stehen?
@Ralf Senftleben
Fotonachweis: unsplash.com / @ Tim Mossholder