In meinem Haus wohnt gerade ein Pulverfass.
Mein Sohn.
12 Jahre.
Mit einem Willen von der Größe eines Planeten.
Nun soll er für seine Geschichtsarbeit lernen.
Und es folgt ein Feuerwerk …
Emotionen. Anklagen. Empörung. Widerstand. Tränen. Türenknallen.
Das ganze Paket.
Früher wäre ich sofort mitgegangen.
Ich hätte mich aufgeregt, geschimpft, gedroht.
Denn niemand kann dich so gut triggern, wie deine Kinder.
Aber dieses Mal nicht.
Ich spüre meine Wut, weil mich diese Unvernunft aufregt.
Ich atme.
Ich spüre, die Müdigkeit in mir, immer wieder über die gleichen Dinge zu streiten.
Ich atme.
Erstaunlich.
Meine Aufregung verliert ihre Kraft.
Ich bemerke meine Reaktion, bevor sie mich überrollt.
Das ist Achtsamkeit.
Die Superkraft für schwierige Situationen.
Sie schafft diesen winzigen Raum zwischen Reiz und Reaktion.
Diesen Moment, in dem du wählen kannst.
Reagiere ich automatisch? Oder antworte ich bewusst?
Wer hat das nicht schon erlebt?
Eine Situation eskaliert.
Erst hinterher wird dir klar: Hey, Mist. So wollte ich gar nicht reagieren.
Ich kenne es von mir selbst. Diese automatischen Reaktionen sitzen tief.
Sie sind wie ausgetretene Pfade im Wald deines Gehirns.
Der Ärger-Pfad.
Der Angst-Pfad.
Der Rückzugs-Pfad.
Aber wenn du öfter bei dir bist, dann hilft dir das, neue Wege zu bahnen.
Achtsamkeit ist nicht die Lösung für alles.
Aber sie gibt dir mehr Spielraum und Kontrolle zurück.
Sie hilft dir, besser mit deinen Gefühlen umzugehen.
Sie macht dich handlungsfähiger.
Und vor allem: Sie hilft dir zu unterscheiden.
Zwischen Dingen, die du ändern kannst, und Dingen, die einfach außerhalb deiner Kontrolle liegen.
Du kannst nicht kontrollieren, was passiert.
Aber du kannst öfter steuern, wie du darauf reagierst.
Anders und besser reagieren: Was dir dabei hilft ist, einen Notfallplan zu haben.
Psychologen nennen das
„Implementation Intentions“.
Du formulierst eine Absicht.
„WENN X passiert, DANN reagiere ich mit Y.“
Zum Beispiel:
- WENN mein Kind ausrastet, DANN atme ich dreimal tief durch.
- WENN mein Chef mich kritisiert, DANN höre ich erst zu, bevor ich antworte.
- WENN ich mich überfordert fühle, DANN mache ich eine kurze Pause.
Diese kleinen Wenn-Dann-Pläne programmieren dein Gehirn neu.
Sie schaffen neue Pfade.
Und deine Achtsamkeit hilft dir, das WENN auch mitzubekommen, damit du nicht einfach automatisch dein altes Muster abspulst.
Denn die größte Herausforderung bleibt:
Den Moment zu erkennen, in dem eine bewusste Reaktion nötig ist.
Also den Punkt nicht zu verpassen, an dem du noch wählen kannst.
Dafür gibt es keine Abkürzung. Nur Training. Achtsamkeitstraining.
Zurück zu meinem Sohn. Die Situation endet nicht perfekt. Aber besser als sonst.
Ich bleibe einigermaßen ruhig. Ich höre zu. Ich setzte Grenzen, ohne zu schreien. Ich bin klar.
Gut gemacht, Ralf.
Ja, die schwierigen Momente im Leben werden nicht weniger.
Aber meine Fähigkeit wächst immer besser, mit ihnen umzugehen.
Stärker werden. Das ist das Ziel. Und deine Achtsamkeit hilft dir dabei.
Alles Gute für dich.
@Ralf Senftleben (Zeit zu leben)
Fotonachweis: unsplash.com / @ Dan Burton