Ein Drama war es, das sein Denken veränderte. Einem Freund, an Krebs erkrankt, gaben die Ärzte nur noch wenig Zeit. Die erfreulichste Nachricht blieb noch die, dass eine Chemotherapie das Wachstum des wuchernden Geschwürs für eine Zeit verlangsamen würde, eine Heilung jedoch sei ausgeschlossen. Als der Freund sagte, Du, ich flieg nach Südamerika, dort soll es jemanden geben, der noch etwas tun kann, vielleicht nützt es ja was, setzte sich Lohrer mit ins Flugzeug. Für eine vielleicht letzte gemeinsame Reise. Er hatte keine Erwartungen, er glaubte nicht an höhere Wesen, er war mehr als skeptisch. Einer von denen, die schwarz auf weiß sehen wollen.
Dass auch jede Liebe ein Wunder sei, gibt der Professor einem noch mit auf dem Weg. Die Liebe, meinte einst die heilige Katharina von Siena, trage die Seele wie die Füße den Leib tragen. So ein Satz würde Steffen Lohrer auch gern einmal einfallen, seinem Empfinden über die Welt Ausdruck zu verleihen. Er ist Unternehmensberater und denkt doch ziemlich analytisch. Gemeinsam mit elf Partnern berät der Wirtschaftsingenieur Firmenchefs, ihre Nachfolge zu regeln. Derzeit sucht er für einen mittelständisches Automobil-Zulieferer, Jahresumsatz 30 Millionen Euro, geeignete Kandidaten. Das Geschäft läuft gut. Aber noch mehr beschäftigt ihn die wahre Natur des Menschen. Und wie das Göttliche in uns sich Gehör verschafft.
Zwei Wochen blieben die Freunde in Südamerika in einem Städtchen am Rand des Dschungels. 300 Menschen standen täglich Schlange, von diesem Heiler berührt zu werden. Einem Mann, des Lesens und Schreiben nicht mächtig, der Jünger um sich geschart hatte, Menschen ganz in Weiß, sie meditierten den ganzen Tag. Es war ein Szenario wie aus der Zeit gefallen, biblisch fast, wie vielleicht in jener Geschichte aus dem Markus-Evangelium, als eine Frau, die an Blutungen litt und Jesus Gewand berührte, augenblicklich geheilt worden sein soll. Zitternd vor Furcht, so steht es geschrieben, habe sie vor ihm gestanden, als Jesus sagte: „Dein Glaube hat Dir geholfen.“
So ähnlich lief es wohl auch in Südamerika, es muss eine Zeit wunderbarer Begegnungen gewesen sein. Zurück in Deutschland, bildeten sich bei seinem Freund die Metastasen zurück, eines Tages waren sie endgültig verschwunden. Es sind, zugegeben, knappe Sätze für eine Sensation. Die einer spontanen Heilung. Steffen Lohrer fand das unglaublich.
Er konnte es sich nicht erklären, analytisch wie er dachte, Zahlen, Daten, Fakten. Die Freunde fragten, wie es geschehen konnte, er wusste keine Antwort. Er war Zeuge gewesen und konnte nur die Schulter zucken. Dieses Nichtwissen spornte ihn an; er, der für nachvollziehbare Antworten gutes Geld nahm, wollte nun mehr erfahren über Kräfte, nicht zu fassen und nicht sehen. Der Gedanke, einem großen Abenteuer auf der Spur zu sein, einer Herausforderung, die es zu meistern galt, ließ ihn nicht los. Steffen Lohrer flog um die Welt, er konnte es sich leisten, andere Heiler zu treffen, Meister und Mönche, er traf aber auch auf Typen, denen er von Anfang an nicht traute, Scharlatane. Doch mit der Zeit wichen seine Zweifel mehr und mehr dem Eindruck, dass sein Bild von der Welt eher von Argwohn geprägt war und Zerrissenheit und weniger vom befreienden Gefühl, vertrauen zu können statt kontrollieren zu wollen. Und so beschloss er, sich anzufreunden mit der Möglichkeit, dass da eine Energie ist zwischen Himmel und Erde, die er nicht einordnen konnte, welche die einen Gott nennen und andere die höhere Weisheit. Und er spürte zunehmend, „dass ich Teil war dieser Wirklichkeit.“ So kam, dass Lohrer in ein neues Leben geriet. Jener Sicht auf die Dinge, die Matthias Claudius in seinem Abendlied besang: „Seht ihr den Mond da stehen? Er ist nur halb zu sehen. Und ist doch rund und schön. So sind wohl manche Sachen, die wir getrost belachen, weil unsere Augen sie nicht sehn.“
Lohrer ließ sich zum Therapeuten ausbilden, immer mehr wollte er wissen über geistige Kräfte. Und immer mehr Menschen kamen, sich von ihm Ermutigung zu erhoffen; der Mann der Zahlen sprach plötzlich von der Liebe als das Wesenhafte des Menschen und der Welt. Lohrer traut sich das mittlerweile wie selbstverständlich auch Geschäftspartnern zu sagen. „Da ist eine große Energie. Und diese gebe ich weiter. Ich weiß immer noch nicht, wie das funktioniert. Aber Hokuspokus ist das nicht.“ Der Wirtschaftsmann ist überzeugt, „von Wundern umgeben zu sein“. Er hat eine Stiftung gegründet, chronisch kranken Kindern zu helfen. Und Leute kommen, die ihn einen Heiler nennen. Von sich selbst würde er das nie sagen. „Ich bin“, sagt Steffen Lohrer, „nur ein Türöffner. „Dass sich vielleicht neue Räume auftun.“
Artikel der Online Redaktion des Sterns (13.01.2019)