Er war ein Guru, der zeitlebens nie ein Guru sein wollte und dennoch war er in dieser Rolle gefangen: Millionen Menschen aus der ganzen Welt lasen seine Bücher und pilgerten zu ihm, um ihn sprechen zu hören. 65 Jahre lang, bis zum Ende seines Lebens, reiste er um die Welt und sprach vor großen Menschenmengen.
Jiddu Krishnamurti, der große indischer Philosoph und spiritueller Lehrer, wurde vom Time Magazine neben dem Dalai Lama und Mutter Teresa zu einem der fünf Heiligen des 20. Jahrhunderts erklärt.
Jiddus Geheimnis
Wer sich allerdings von ihm eine „Heilslehre“ erhoffte oder auch nur eine schlüssige Erklärung für die Phänomene der Welt, ging leer aus. Stattdessen verlangte er von seinen Zuhörern und Lesern eindringlich, selbst die Wahrheit des Lebens herauszufinden.
Doch dann kam dieser Schlüsselmoment … Es war im Jahr 1977 während eines Vortrags in Kalifornien: Mitten in seiner Rede hält Krishnamurti plötzlich inne. Beugt sich vor. Und fragt fast verschwörerisch: „Do you want to know what my secret is?“
Krishnamurti sprach selten so persönlich, und natürlich war das Publikum in diesem so raren Moment wie elektrisiert. Die Zuhörer lehnten sich erwartungsvoll vor, ihre Ohren spitzten sich und die Gesichter schauten in stiller Erwartung auf Krishnamurti. Der sagte mit leiser, fast schüchterner Stimme: „Here is my secret: I don’t mind what happens.”
Akzeptieren heißt nicht resignieren
Allen Kritikern, die jetzt den Finger heben und einwenden, dass niemals grundlegende Veränderung stattgefunden hätte, wie beispielsweise die Einführung des Frauenwahlrechts, wenn die Menschen einfach nur mit den Achseln gezuckt und sich nicht daran gestört hätten, was passiert, sei entgegnet: Das ist nicht gemeint. Es geht um Akzeptanz – nicht um Resignation.
Das bedeutet, wir sollten aufhören, etwas ändern zu wollen, das entweder gar nicht oder nur zu einem extrem hohen Preis zu ändern ist.
Der Journalist, der uns mit seinem überkritischen Artikel über unser Buch nervt und den wir am liebsten auf den Mond schießen würde, ist nun mal da. Daran ist nichts zu ändern. Natürlich könnten wir aufhören, Bücher zu schreiben… Oder wenn wir im Zug sitzen und der wegen „Verzögerungen im Betriebsablauf“ auf offener Strecke halt macht, stehen wir eben mitten in der Pampa blöd herum. Natürlich könnten wir versuchen, auszusteigen und zu Fuß weiterzugehen … Die Sinnhaftigkeit dieser Aktionen ist allerdings fragwürdig.
Der bessere Weg in all diesen Fällen: Akzeptanz!
Die Anerkenntnis: Was ist, ist!
Es gilt, die normative Kraft des Faktischen anzuerkennen. Akzeptanz ist etwas anderes, als sich die Welt schönzureden. Zur Akzeptanz gehört nämlich, ganz genau hinzuschauen, was ist. So gesehen ist Akzeptanz eine Voraussetzung für Veränderung – und kein Hindernis dafür.
Der Schlüssel zur inneren Freiheit
Das Zitat hat uns aber noch aus einem anderen Grund elektrisiert. “I don’t mind what happens” – das ist nicht mehr und nicht weniger als der Schlüssel zur inneren Freiheit.
Ungewissheit gehört zum Leben dazu. Niemand kennt die Zukunft. Sie ist ungewiss. Eine Entscheidung, die sich heute richtig anfühlt, kann sich im Laufe der Jahre als falsch herausstellen und umgekehrt. Der gewählte Job oder die gewählte Partnerschaft können langfristig glücklich und zufrieden machen. Es kann aber auch anders kommen. Eine Garantie darauf gibt es nicht.
Also macht es überhaupt keinen Sinn, sich ständig darum zu sorgen, was als Nächstes in unserem Leben möglicherweise passieren könnte. „I don’t mind what happens“ bedeutet, sich mit ganzem Herzen auf die Ungewissheit einzulassen.
Auf Unternehmensbasis bedeutet ein zukunftsorientiertes Umgehen mit Ungewissheit, dass man Ungewissheit als Teil des Spiels akzeptiert.
In der Sicherheitszone
Allerdings ist für viele Menschen kaum etwas so unerträglich wie Ungewissheit. Sie wollen Gewissheit im Leben und Sicherheit. Sie wollen genau wissen, wie sich die Dinge entwickeln werden, wenn sie z.B. in eine neue Stadt ziehen, den Job wechseln oder eine neue Beziehung beginnen. Sie verlangen möglichst unumstößliche Gewissheiten, auf die sie jederzeit zählen und sich verlassen können, denn diese Gewissheiten machen für sie das Leben leichter, planbarer, vorhersehbarer und befreien von unliebsamen Überraschungen. Zumindest theoretisch.
Aber genau diese Gewissheit, die so viele so gern haben möchten, macht das Leben auch trist und schal. Wenn das Bedürfnis nach dem sprichwörtlichen Netz mit doppeltem Boden zur Grundlage oder Priorität für jede Entscheidung wird, dann ist es kaum möglich, aus der Zone des Altbekannten hinauszutreten.
Wir berauben uns selbst aller Entwicklungsmöglichkeiten. Die Sicherheit, dass alles so bleibt, wie es ist, bedeutet eben auch, dass sich nichts verändert, auch nicht zum Besseren. Dann akzeptieren wir den Job mit der vermeintlich „sicheren“ Zukunft, auch wenn der uns innerlich total unzufrieden macht. Dann wählen wir nur die Beziehungen, die sich 100 Prozent vertraut und sicher anfühlen, und lassen uns nur auf jene Aktivitäten ein, die wir bereits kennen und mit denen wir garantiert nicht unsere persönliche Komfortzone verlassen müssen.
Wir treffen Entscheidungen, die uns als der sicherste Weg erscheinen. Und das sind genau die Entscheidungen, die unsere Entwicklungs- und Wachstumsmöglichkeiten drastisch einschränken.
Wer unbedingte Gewissheit im Leben will, bekommt das nicht kostenlos. Der Preis: die weitgehende Verhinderung von persönlichem Wachstum. Ein eindimensionales, auf Sicherheit gebautes Leben und der Ausschluss aller Möglichkeiten, die jenseits der eigenen Komfortzone liegen. Das ist eine unendliche Verschwendung unseres Potenzials: Das Leben beginnt dort, wo die Komfortzone endet.
Ungewissheit begrüßen – sonst wird das Leben zur drögen Playlist
Natürlich bedeutet das nicht, dass wir ab sofort generell aufhören sollten, auf jegliche Art von Sicherheitsdenken zu setzen. Eine sicherheitsorientierte Einstellung ist sinnvoll, wenn es um menschliche Grundbedürfnisse geht. Ausreichend Nahrung zu haben, Kleidung, ein Dach über dem Kopf, Krankenversorgung, und so weiter.
Aber das gilt eben nur für die Grundbedürfnisse – für alles andere gilt: Wer nur auf Gewissheiten setzt, tanzt immer wieder den gleichen choreografierten Tanz, folgt immer wieder den gleichen altbekannten Noten. Das Leben wird zu einer täglichen „Playlist“ mit den immergleichen Songs.
Ungewissheit gehört zum Leben dazu. Ungewiss bedeutet aber nicht unbedingt unsicher. Diese Differenzierung ist elementar. Du kannst mit Ungewissheit gut leben. Wer die Ungewissheit als Teil des Lebens akzeptiert – „I don’t mind what happens“ – kann lernen, mit ihr umzugehen und sie sogar dazu zu nutzen, um durch die Höhen und Tiefen des Lebens zu navigieren. Veränderer wissen das.
Françoise Gilot, die wunderbar eigensinnige Malerin, die zehn Jahre lang Picassos Muse war – und ihn dann verließ –, schreibt in ihrem Buch „Leben mit Picasso“ eine Aussage, die so wahr und so wichtig ist, dass sie eingerahmt werden sollte:
„Wenn du etwas riskierst, erlebst du auch schlimme Dinge, aber du lebst und verstehst immer mehr. Vor allem wirst du nicht langweilig. Das ist das Allerschlimmste: langweilig werden.“
@Förster & Kreutz