Höher, schneller, weiter – warum sind wir nie zufrieden mit dem, was wir haben? Diese Frage wurde bisher vor allem in der Psychologie diskutiert. Jetzt soll Künstliche Intelligenz (KI) erklären, warum unser Gehirn auf „immer mehr“ programmiert ist.
Es ist ein Paradoxon der menschlichen Psyche: Wir wollen unbedingt diese teuren Schuhe oder ein schickes Auto haben. Doch wenn wir die Objekte unserer Begierde dann ein paar Tage benutzt haben, tauchen schon wieder neue Wünsche auf.
„Das menschliche Glücksgefühl ist sehr seltsam. Es fällt uns schwer, richtig glücklich zu sein. Denn dieser Zustand ist relativ. Er orientiert sich an früheren Erfahrungen und Erwartungen an die Zukunft. Zum Beispiel freue ich mich an einem heißen Tag riesig über eine kalte Limonade. Aber wenn ich sie vier Tage hintereinander hatte, dann langweilt sie mich und will etwas Anderes. Abhängig von meiner früheren Erwartung freue ich mich also unterschiedlich stark über dasselbe Getränk.“
Um herauszufinden, warum unser Gehirn so merkwürdig gepolt ist, simulierten Rachit Dubey von der Princeton University und sein Team abstrakte Alltagssituationen mithilfe künstlicher Intelligenz.
Unzufriedenheit als evolutionärer Vorteil
Sie programmierten sogenannte Softwareagenten darauf, sich in virtuellen Situationen für Optionen zu entscheiden. Für gute Entscheidungen wurden diese virtuellen Assistenten belohnt. Eine Besonderheit dabei: Die Forscher hängten die Latte für diese Belohnungen sehr hoch.
„Wir haben den Agenten ein Erwartungsniveau gesetzt. Sie glaubten, in der virtuellen Welt eine Belohnung in bestimmter Höhe erreichen zu können – sagen wir 15 Punkte. Und auch wenn die Agenten eine Belohnung von 10 Punkten erreichten, war es für sie wie Minus 5 Punkte, einfach deshalb, weil sie mehr erwartet hatten. Die Analogie beim Menschen wäre, dass wir zwar ein schönes Auto besitzen, aber denken: Der Nachbar hat ein so viel größeres Auto. Dann fühlt sich der eigene Wagen nicht mehr so gut an. Und paradoxerweise haben wir gesehen, dass die Agenten dank dieser hohen Erwartung in bestimmten Situationen viel schneller lernten.“
Das wäre also ein Vorteil. Und das könnte erklären, warum unser Gehirn im Laufe der Evolution darauf trainiert wurde, die eigene Situation mit anderen zu vergleichen. Womöglich haben wir dadurch schneller gelernt, eine gute Gelegenheit zu nutzen, wenn sie sich denn mal ergab. Zum Beispiel, wenn ein Mammut auftauchte, das genug zu essen für die ganze Sippe versprach.
Gefangen im Kreislauf nie endender Wünsche und Bedürfnisse
Doch ein solches Verhalten bringe nur dann Vorteile, wenn die Entscheidungsmöglichkeiten überschaubar sind, sagt Rachit Dubey. In unserer Konsumgesellschaft führt es eher ins Gegenteil: Denn das ständige Gefühl, sich nicht optimal entschieden zu haben, könne zu Frust führen.
„In einer Simulation, die für unsere heutige Zeit sehr relevant ist, haben wir unserem Agenten sehr ähnliche Optionen zur Auswahl gegeben. Alle waren sehr gut, weshalb es keinen Vorteil brachte, die Möglichkeiten zu vergleichen. So wie im Supermarkt: Es gibt fünf verschiedene Getränke, aber alle sind gleich lecker. Das Experiment zeigte: Es bringt nichts, ewig zu vergleichen und dann das Gefühl zu bekommen: Was, wenn mir das andere Getränk besser geschmeckt hätte? Die Lektion daraus ist also: Sei zufrieden mit dem, was du hast, und vergleiche deine Situation nicht ständig mit anderen.“
Doch das lässt sich in unserer Konsumgesellschaft kaum vermeiden: Werbung und soziale Medien suggerieren uns tagtäglich, dass uns Konsum glücklich macht und Wahlmöglichkeiten Freiheit bedeuten. Es sei deshalb Zeit für ein Umdenken, findet Rachit Dubey: „Für uns ist sie Lektion aus dieser Studie, dass unser Verstand in diese Richtung gepolt ist. Wir sind in diesem Kreislauf von nie endenden Wünschen und Bedürfnissen gefangen. Deshalb sollten wir als Gesellschaft einen Schritt zurückgehen und überlegen, wie wir uns aus dieser Gedankenwelt von steigendem Wachstum und Konsum befreien können und nachhaltiger leben. Schließlich wissen wir, dass wir mit dem, was wir bekommen niemals glücklich werden können.
@ Roland Kopp-Wichmann
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