Solidarisches Handeln und das Kümmern um Menschen, die wirklich Unterstützung benötigen, ist eine wunderbare Sache.
Problematisch wird es, wenn Helfen zum dauerhaften Reflex wird. Die toxische Nebenwirkung vom Beipackzettel: Kümmerer produzieren Verkümmerte!
Wer es nie gelernt hat, selbstständig Probleme zu lösen, wird das auch nicht als eigene Aufgabe ansehen, sondern es immer an den Vorgesetzten, den Staat, die Eltern, den Partner, die Partnerin – oder andere Instanzen delegieren.
So schafft man Abhängige, die nie erwachsen werden.
Dem Helfer im Dauereinsatz bringt sein Verhalten selbst am allermeisten. Es fühlt sich gut an, die Anlaufstelle für alle Fragen zu sein. Immer im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen.
Die Inszenierung als helfender Retter ist Balsam für die Seele.
ABER
(1) Es wird Verantwortung übernommen für andere, ohne dass es klar abgesprochen wurde.
Das ist nicht fürsorglich, sondern übergriffig. „Ich habe es doch nur gut gemeint!“ ist ein Satz, der dann von dem „Wohltäter“ zu hören ist. Aber wie oft im Leben gilt: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut.
(2) Was unter dem Deckmantel der Fürsorge daherkommt, zielt bei genauerer Betrachtung auf den eigenen Vorteil.
Denn heimlich liebt der Kümmerer die eigene Unersetzlichkeit. Er fühlt sich gebraucht. Fürsorge versorgt vor allem den Fürsorger.
(3) Es lässt Menschen und Organisationen unterhalb ihrer Möglichkeiten agieren.
Es mag persönlich in Ordnung sein, wenn der Kümmerer bereit ist, den Preis der eigenen Unentbehrlichkeit zu zahlen. Es ist allerdings nicht in Ordnung für Unternehmen oder Familien oder Paarbeziehungen. Weil diejenigen, die am empfangenden Ende des ständigen Helfertums stehen, weit unterhalb ihrer Möglichkeiten bleiben.
In meinen Führungsvorträgen sage ich es oft so: Übergriffige Fürsorge infantilisiert Mitarbeiter. Sie werden auf die Stufe der Unmündigkeit degradiert, anstatt Partner auf Augenhöhe zu sein, deren Autonomie und Problemlösungskompetenz respektiert und gefördert wird.
In einer Welt im Umbruch gib es nur eine Sicherheit: das Kapital, das zwischen unseren beiden Ohren wohnt. Unser Wissen und unsere Fähigkeiten, unsere Talente – verbunden mit einer Haltung der Eigenmächtigkeit.
Letzteres gibt es nicht als Werkseinstellung. Wir müssen das erst einmal lernen. Der Kontext der industriellen Welt war darauf ausgerichtet, dass Menschen sich in die Unternehmensmaschinerie einfügen und definierte Probleme lösen. Nicht Selberdenken und Selbstermächtigung standen an oberster Stelle, sondern Fehlerfreiheit und reibungsarme Einpassung in das Gesamtgefüge.
Von diesem Denken müssen wir uns heute verabschieden. Wertschöpfende Arbeit entsteht heute in den meisten Fällen nicht mehr aus der Reproduktion des Vorhandenen, sondern aus der Gestaltung des Neuen.
Deshalb werbe ich in meinen Vorträgen für die Spezies der Selberdenker und Selbstermächtiger, die hinterfragen, neu denken, verkrustete Strukturen aufbrechen und Führung und Zusammenarbeit neu gestalten. Nicht weil es einfach ist. Sondern weil es wert ist, getan zu werden.
@ Förster & Kreuz
Fotonachweis: unsplash.com/ @ Noah Buscher