Wenn Sie nicht gerade ein Anhänger des minimalistischen Lebensstils sind, dann häufen sich ja vermutlich in Ihrer Wohnung oder Haus mit der Zeit ein Haufen Sachen in Keller und Schränken an, die Sie schon lange nicht mehr nutzen und eigentlich wegwerfen oder verschenken könnten: Zuckerwürfel, Handtaschen, Klamotten, Bücher, CD’s, PCs, Raclette-Grills, Kinderspielzeug etc.
Warum heben wir das auf und geben es nicht in die Entsorgung, sondern nehmen es beim Aufräumen kurz in die Hand und legen es dann an einen anderen Platz? Weil wir Menschen eben nicht vernünftige Wesen sondern von vor allem von Bedürfnissen, Gefühlen und Ängsten getrieben sind, klappt das nicht so recht mit dem Wohnung entrümpeln.
Das geht mir genauso. Deswegen habe ich hier auf dem Blog ja auch schon öfter darüber geschrieben.
Natürlich sieht es bei mir und bei Ihnen nicht so aus wie im „Bungalow des Grauens“, so dass RTL als letzte Rettung kommen muss. Und vielleicht wollen Sie auch nicht beim „100 Things Challenge“ mitmachen, um Ihren Hausstand radikal zu verkleinern.
Sie wollen sich nur von ein paar Dingen trennen, die Sie eigentlich nicht mehr brauchen. Und es klappte bisher nicht. Was hinter diesem ominösen „eigentlich“ eigentlich steckt, darüber habe ich mir Gedanken gemacht.
Hier also die wichtigsten Gründe, warum Sie sich von bestimmten Dingen so schwer trennen können und ihre Wohnung entrümpeln so schwer fällt.
1. Sie haben Schuldgefühle.
Ihre Tochter hat Ihnen als Zehnjährige mal ein paar selbstgestrickte Socken zu Weihnachten geschenkt. Nur weil die so kratzten und Sie sie nie anzogen, liegen die seitdem ganz unten in Ihrer Schublade. Aber Ihre Tochter ist jetzt auch schon 34 Jahre alt. Sie könnten also eigentlich …
Oder Ihre Nachbarn brachten Ihnen damals von ihrer Rom-Reise als Andenken diesen netten Kaffeepott mit dem betenden Papst mit. Allerdings zeigt es Papst Johannes XXIII – und Sie trinken lieber aus Kaffeetassen.
Aber jetzt einfach das hässliche Ding ex und hopp? Ja klar! Ihre Tochter oder Ihre Nachbarn erfahren es nicht und wenn doch, werden sie es überleben. Aber Sie tun es nicht, weil Sie sich schuldig fühlen. Sie (die Tochter wie die Nachbarn) haben es doch so nett gemeint.
Doch Schuldgefühle sollten niemals eine Rolle in Ihren Entscheidungen im Leben spielen. Ihre Entscheidung sollte eher davon abhängen, wie wichtig Ihnen das Stück ist.
2. Sie hängen emotional dran
Menschen hängen oft an Gegenständen, die sie an wichtige Ereignisse oder Erfahrungen ihres Lebens erinnern. So habe ich immer noch meine Sammlung von alten Wiking-Autos in einem Setzkasten in meiner Praxis. Die könnte ich locker bei eBay für gutes Geld an Sammler verkaufen, aber …
Gegen die emotionale Bindung an einige Gegenstände ist ja nichts einzuwenden, es sei denn, Sie haben an fast alles in Ihrer Wohnung so eine starke gefühlsmäßige Bindung.
Ein Tipp: Finden Sie einen besonderen Platz in Ihrem Haus, wo Sie diese Sachen hinstellen – für eine bestimmte Zeit. So können Sie nach einer Weile abschätzen, wie wichtig Ihnen diese Andenken wirklich sind. Wenn Sie nach vierzehn Tagen merken, dass Sie sie kaum angeschaut haben – weg damit!
Ein Freund hatte die Angewohnheit, alle Tshirts von sämtlichen Volksläufen aufzuheben. Da er pro Jahr an fünf bis sechs Wettbewerben teilnahm und er als 13-Jähriger damit angefangen hatte, konnte er jetzt mit 58 Jahren eigentlich jeden Tag ein anderes Tshirt anziehen. Eigentlich.
Das tat er aber nicht, sondern fand eine bessere Lösung: Die fünf wichtigsten bewahrte er auf und entsorgt immer eines, wenn er ein neues seiner Sammlung hinzufügen will.
3. „Das könnte ich mal noch eines Tages brauchen.“
Vor allem sparsame Menschen trennen sich schwer von Sachen, weil sie ja noch gut und nutzbar sind – und man Sie eines Tages noch brauchen könnte.
Doch wenn Sie ehrlich sind, haben Sie viele Dinge in Ihrer Wohnung und im Keller ein, zwei oder zehn Jahre nicht gebraucht. „Eines Tages“ kommt eben sehr selten. Das gilt vor allem für so Trendartikel aus dem kulinarischen Bereich wie Fonduegeschirr, Raclette- und Tischgrill, Schokobrunnen usw.
Abhilfe schafft ein festes Datum für jedes Teil. Wenn Sie es bis dahin nicht gebraucht oder verwendet haben – weg damit!
4. „Das war mal richtig teuer.“
Etwas ausmisten, was Sie mal gekauft haben aber nicht mehr nutzen, bedeutet, dass Sie sich umsonst in Kosten gestürzt haben. Das ist schmerzlich – und deswegen heben Sie es auf.
Das gibt es auch in der Wirtschaft. Man hat Kosten in etwas investiert, die Sache führt aber nicht zum Erfolg. Also sich davon trennen oder noch mehr Geld investieren? Was heißen kann, mehr gutes Geld dem schlechten hinterher zu werfen.
Keine leichte Entscheidung, wie man bei der Rettung Griechenlands oder des Berliner Flughafens aktuell beobachten kann.
Lösung: Der investierte Betrag für einen Artikel ist kein gutes Entscheidungskriterium. Die einzig wichtige Frage ist, wie viel Ihnen dieser Artikel heute noch wert ist. Wenn Sie es nicht länger brauchen – weg damit!
5. Sie betrachten es als Geldanlage.
Wenn ich meine ganz alten Fix-und Foxi-Hefte aus den 50er-Jahren damals aufgehoben hätte, könnte ich die heute gut bei Auktionen versteigern lassen. Sie waren quasi die Aktie des kleinen Mannes.
Viele Menschen heben Sachen im Keller auf, nicht weil sie ihnen gefallen oder sie sie noch nutzen, sondern weil sie sie als Geldanlage betrachten. Briefmarken, Oldtimer, Kronkorken, Ansichtskarten, alte Handys oder Mac-Computer.
Das kann gut gehen, wenn Sie eine Nase für solche Sachen haben und sich der Markt entsprechend entwickelt. Aber ähnlich wie beim Gold- oder Ölpreis kann das auch mächtig in die Hose gehen, wie Ihnen Herr Putin erzählen kann. Vor allem, wenn Sie aus Ihrer Wohnung kein Auktionshaus machen und in die Garage eigentlich lieber Ihr Auto stellen wollen.
Abhilfe? Ist der Gegenstand heute wertvoll? Dann verkaufen Sie ihn. Wenn nicht, geben Sie ihn in die Entsorgung. An einen Liebhaber oder die Müllabfuhr.
6. Sie wollen damit angeben.
In Büros von Managern sieht man oft – neben den obligatorischen Familienbildern – Andenken von sportlichen Veranstaltungen. Natürlich nicht vom 3-Kilometer-Nordic-Walking oder der Medaille im Synchron-Schwimmen. Sondern meistens Tennis- oder Golf-Pokale.
Denn derjenige will damit sein Image aufbessern. Einmal fragte ich einen, wie oft er denn heute noch Tennis spiele, weil mir bei der Besichtigung der Pokale auffihel, dass die Jahreszahl auf dem Pokal doch schon ziemlich lange zurücklag …
Egal. Einfach jemandem zu raten, sich von so etwas zu trennen, weil es eher albern ist als eindrucksvoll, hilft ja nichts. Ein Coaching über die Gründe, warum er diese zweifelhafte Selbstwerterhöhung überhaupt so nötig hat, wäre vermutlich erfolgversprechender.
7. Sie heben es für Familienmitglieder auf.
Konfirmandenanzüge, Hochzeitskleider, Kinderwagen, Strampelanzüge, Spielsachen … Meist kommen beim Aufheben solcher Raritäten mehrere der oben genannten Motive zusammen. Man hängt emotional daran, die Sachen haben mal richtig Geld gekostet, das kann man doch noch eines Tages gebrauchen …
Hmm, eine nette Idee.
Aber in der Praxis klappt das selten. Nur in romantischen Hollywoodfilmen freut sich die Braut, wenn der Mann ihr zum Hochzeitstag die silberne Brosche der Urgroßmutter schenken will, weil das so Familientradition ist.
Eine gute Faustregel für solche Erinnerungsstücke aus der Familiengeschichte: Heben Sie nur das auf, was in einen großen Karton passt. Und geben Sie ihn irgendwann an das Familienmitglied, das Sie beglücken wollen.
Aber lassen Sie es selbst aussuchen, was es davon haben will.
8. Sie verbinden damit einen Teil Ihrer Identität.
Dinge an sich haben ja gar keinen Wert. Sie haben immer den Wert, den wir ihnen zuschreiben.
Deswegen ist ja der Bildersammler am Boden zerstört, wenn rauskommt, dass sein unbekannter Picasso, der ihm so viel bedeutet, eine Fälschung ist. Das Bild ist immer noch dasselbe, nur der persönliche Wert ist drastisch gesunken.
Das kann man auch gut beobachten, wenn ein Paar zum ersten Mal zusammenzieht. Und dadurch zwei gut ausgestattete Haushalte zu einem vereint werden müssen. Manches ergänzt sich gut aber einiges ist auch einfach doppelt vorhanden und vernünftigerweise sollte einer sich von seinem Einrichtungsstück trennen.
Wenn das mal so leicht wäre mit dem Vereinigen.
Als ich heiratete, durfte nur einer seinen Namen behalten und den Namen des Partners dranhängen, wenn man sich nicht auf einen gemeinsamen Familiennamen einigen konnte. So kam es dann zu Wortungetümen wie Leutheusser-Schnarrenberger, Müller-Lüdenscheid oder Kopp-Wichmann.
Auch bei der Fusion zweier Unternehmen ist das oft schwierig. Das fängt schon bei dem neuen Namen an (z.B. DaimlerChrysler, Siemens Nixdorf) und führt auch oft zu etlichen Entlassungen wegen Doppelbesetzung von bestimmten Posten.
Identität ist eben ein hoher Wert. Und beim Zusammenziehen wollen sich ja zwei Menschen mit ganz unterschiedlichen Identitäten zu einer dritten Identität, dem Paar, zusammenfinden.
Wenn da ein Junggeselle vor der Frage steht, sich zwischen seinem speckigen Ledersofa, getränkt mit Bier und anderen feuchten Erinnerungen oder dem entzückenden Biedermeiersofa der Freundin entscheiden zu müssen … In der Liebe wird einem eben nicht nur was geschenkt.
Und das bringt uns zum wirklich entscheidenden Grund, warum das Wegwerfen von Gegenständen so schmerzlich sein kann.
Die Wohnung entrümpeln erinnert uns an den allerletzten Verlust.
Wer sich von seinem löchrigen Pullover aus der Studentenzeit trennt, spürt instinktiv, dass das für immer ist. Klar, kann er sich noch zwanzig Pullover kaufen. Aber dieser eine ist entsorgt. Für immer – und vor allem für ewig.
Wer sich entschließt, die einhundertzwölf Benjamin-Blümchen-Kassetten nicht länger aufzuheben, weil kaum jemand heute noch einen Kassettenrekorder besitzt, realisiert, dass der Sohn tatsächlich erwachsen und längst aus dem Haus ist. Und man selbst ein ziemliches Stück älter.
Manche versuchen, diese Konfrontation mit der eigenen Sterblichkeit durch ein größeres Projekt abzumildern, das über den eigenen Tod hinaus Bestand hat. Schreiben ihre Biografie schon mal als 25-jähriger oder bauen sich eine standesgemäße Grabstätte, in der locker fünf Asylantenfamilien unterkommen könnten.
So mischt sich in den frei werdenden Raum, den das Ausmisten ja auch immer bringt, meist auch der unangenehme Gedanke an die eigene Vergänglichkeit. Dass nichts mehr von einem bleiben wird. Höchstens die Erinnerung im Herzen einiger lieber Menschen.
Mir geht es bei vielen Gelegenheiten oft auf Reisen so. Vor allem, wenn es schön war, denke ich: „Hier wirst Du wahrscheinlich nie wieder herkommen.“ Theoretisch ist das zwar meistens noch mal möglich. Aber dann ist der Ort nicht mehr ganz derselbe. Und ich vermutlich auch nicht.
Ach, das ganze Leben ist ein dauerndes Loslassen. Das ist zwar mit sechs Jahren auch schon so. Aber da denkt man nicht so oft dran wie mit 66.
Gute Tipps zum Entrümpeln finden Sie auch hier.
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