Achtsamkeit (Mindfulness) ist eine Idee aus dem Buddhismus. Aber es ist eine Idee, die unser Leben auch ohne den religiösen Unterbau stark verbessern kann.
Denn wenn du Achtsamkeit praktizierst, erlebst du eine ganze Reihe von spürbaren Lebensverbesserungen.
- Du kannst mit den Nickeligkeiten des Alltags besser umgehen (Stressresistenz).
- Du machst dir weniger Sorgen und weniger Druck.
- Du erlebst deinen Alltag fokussierter und klarer, du schiebst weniger auf und schaffst mehr Dinge.
- Und nicht zuletzt: Du wirst gefühlt 10–20 % glücklicher.
Aber bevor ich dazu komme, warum Achtsamkeit das mit uns anstellt, möchte ich kurz erklären, was genau Achtsamkeit ist.
Was ist Achtsamkeit?
Achtsamkeit bedeutet: Wir nehmen das, was in uns und außerhalb von uns passiert, möglichst oft bewusst wahr.
Normalerweise gehen wir eher unachtsam durch den Tag. Wir spulen unsere Gewohnheiten und altgedienten Denk- und Handlungsmuster automatisch ab.
Wir stehen auf. Wir duschen. Wir machen Pausenbrote. Oder einen Kaffee. Wir lesen Zeitung. Wir gehen los. Wieder und immer wieder. Wie ein Uhrwerk.
Der Teil unseres Gehirns (die Basalganglien), der für Gewohnheiten und Automatismen zuständig ist, brummt also fröhlich und ist voll aktiv.
In diesem Zustand funktionieren wir in erster Linie. Die Zeit verschwindet dabei einfach. Wir bekommen bewusst gar nicht richtig mit, wie wir uns fühlen, was wir denken und was um uns herum passiert.
Anders gesagt: Wir sind auf Autopilot. Und das ist das Gegenteil von Achtsamkeit.
Achtsamkeit heißt, voll im Moment zu sein
Wenn ich dagegen achtsam bin, bin ich voll da. Das heißt, ich beobachte mich selbst und meine Umgebung genau. Ich bekomme alles mit. Und ich wähle auch bewusst und achtsam, was ich tue, statt meine Muster abzuspulen.
Ich beobachte meine Gefühle. Ich bemerke aktiv, ob ich gerade fröhlich oder frustriert bin. Oder ob ich gelangweilt oder gestresst bin. Ich erkenne auch meine unerwünschten Handlungsimpulse. Wenn meine Hand automatisch zum Stück Kuchen greift, obwohl ich mich gesünder ernähren wollte.
Ich beobachte auch meine Gedanken aus einer höheren Perspektive. So merke ich zum Beispiel, dass ich mir Sorgen mache. Oder dass ich mich mit jemandem vergleiche.
Aber auch meine Umgebung erlebe ich mit allen Sinnen. Ich sehe das Blümchen im Rinnstein. Ich spüre den Wind im Gesicht. Ich höre die Vögel, die Autos, die Stimmen um mich herum.
Ich bin also voll bei mir. Ich bin voll im Leben drin. Ich bin durch meinen wachen Geist voll und ganz mit allem verbunden. Indem ich mich selbst aufmerksam beobachte. Indem ich meine Umgebung aufmerksam beobachte.
Achtsamkeit lehrt dich Abstand
Das Schöne und Friedliche an dieser Achtsamkeit ist, dass sie nicht wertet und nicht urteilt.
Wenn ich frustriert bin, nehme ich das wahr, ohne die Sache zu bewerten. Also ohne mir zu sagen, dass das jetzt schlecht ist und ich mich anders fühlen sollte.
Und wenn ich mich freue und glücklich bin, dann nehme ich auch das entspannt wahr. Aber ohne mir deswegen zu gratulieren. Und auch ohne mich zu sorgen, dass die Freude bald wieder verschwinden könnte.
Oder wenn ich Angst spüre, dann nehme ich diese Angst ohne Selbstverurteilung wahr. Also ohne mich auch noch über meine Angst zu ärgern. Ohne deswegen mit mir zu schimpfen.
Ich sage nur zu mir:
„Oh, ich spüre Angst. Wie interessant.“
Angst ist eben nur Angst. Nicht mehr und nicht weniger.
Achtsames Wahrnehmen ist also Wahrnehmen ohne den Rattenschwanz an Bedeutung, den wir normalerweise an alles anheften.
Wenn wir das können, bringt uns das viel inneres Gleichgewicht. Aber diese Form der Wahrnehmung ist natürlich etwas, das wir üben und trainieren müssen.
Die Flüchtigkeit unserer Gefühle und Gedanken
Wenn wir lernen wollen, unsere Gedanken und Gefühle weniger zu bewerten, hilft uns eine Sache.
Und zwar die Erkenntnis, dass unsere Gefühle und Gedanken flüchtig und wenig substanziell sind.
In einem Augenblick fühlen wir uns großartig und eine halbe Stunde später werden wir plötzlich traurig. Dann 2 Stunden später geht es uns wieder gut.
Gefühle kommen und gehen. Sie sind unstabil und flüchtig. Sie sind nichts, worauf wir uns verlassen können.
Wir überhöhen die Bedeutung unserer Gefühle auch, indem wir uns damit identifizieren.
Statt zu sagen:
„Ich spüre gerade eine gewisse Traurigkeit“,
sage ich:
„Ich bin traurig.“
So wie ich sage:
„Ich bin Ralf.“
Und damit mache ich die Traurigkeit zum festen und nicht tauschbaren Teil meiner Identität. So wie meinen Namen.
Und tatsächlich haben wir oft das Gefühl, dass die Traurigkeit nie vergehen wird, wenn wir traurig SIND. Wir machen uns die Traurigkeit damit zu eigen, sie wird gefühlt ein fester und ewiger Teil von uns.
Wenn ich dagegen sage:
„Ich spüre gerade Traurigkeit und ich weiß, sie wird auch wieder vergehen“.
Dann erkenne ich Gefühle als das, was sie sind: nur eine flüchtige Erscheinung. Etwas Vergängliches. Etwas, das kommt und geht, oft ohne dass ich einen Einfluss darauf habe.
So wie der Wind. Hier sage ich ja auch:
„Ich spüre den Wind.“
Und nicht:
„Ich bin windig.“
Gefühle und Gedanken sind flüchtig und unbeständig. Und je mehr ich das verstehe, desto schneller kann ich sie achtsam und wertfrei und ohne Urteil nur beobachten und dann gehen lassen.
Wie fühlt sich Achtsamkeit an?
Achtsamkeit ist also ein geistiger Zustand, in dem ich beobachte. Ich beobachte mich. Ich beobachte meine Umgebung. Ich nehme wahr.
Ich sehe, ich höre, ich spüre.
Ohne zu sagen, dass es schlecht oder gut ist.
Es ist einfach nur da und mehr gibt es dazu gerade nicht zu sagen.
Und dieser geistige Zustand bringt meistens eine ganz eigene Qualität des Erlebens mit sich.
Ich fühle mich dadurch mir selbst und dem Leben nah und direkt verbunden. Ich spüre mich lebendig. Ich fühle mich klar und echt und ehrlich. Ich fühle mich ruhig und friedlich, weil ich nur beobachte, weil ich im Augenblick nicht kämpfen muss. Weil alles da sein darf, wie es ist.
Und deswegen habe ich oben geschrieben, dass Achtsamkeit glücklich macht.
Warum ist Achtsamkeit so nützlich?
Und jetzt hast du auch schon eine Idee, warum es so nützlich ist, achtsamer zu werden.
Denn wer möchte sich nicht lebendiger und klarer fühlen? Wer möchte nicht mehr innere Ausgeglichenheit erleben?
Tatsächlich wird Achtsamkeitstraining schon seit den 80er Jahren angewendet, um Menschen beizubringen, besser mit Stress umzugehen. Das Achtsamkeitstrainingsprogramm MBSR wird in Deutschland sogar von den Krankenkassen bezuschusst.
Gezieltes Achtsamkeitstraining hilft sogar nachweislich bei posttraumatischen Belastungsstörungen oder Angsterkrankungen. Und bei vielem mehr.
Gezielte Achtsamkeit ist ein Wundermittel, das dein Leben auf breiter Ebene besser macht, wenn du Achtsamkeit trainierst und übst und als festen Bestandteil in dein Leben einbaust.
Achtsamkeitstraining lässt dich tatsächlich nicht nur besser mit Stress und Druck umgehen. Eine Steigerung deiner Achtsamkeit im Alltag erhöht deine Selbststeuerungsfähigkeiten. Oder anders gesagt: Du tust öfter, was richtig und vernünftig für dich ist. Du hast dich mehr im Griff.
Denn weil du einen besseren Kontakt zu dir hast, erkennst du dein Denken und Handeln schneller, wenn es nicht zu deinen Zielen passt. Wenn du Dinge tust, die kontraproduktiv und nicht zielführend sind.
Achtsamkeitstraining macht dich also oft produktiver und lässt dich vernünftiger handeln. Weil du deine irrationalen Teile klarer siehst. Und weil du deinen irrationalen Teilen besser begegnen kannst.
Zusammengefasst macht dich ein Achtsamkeitstraining also produktiver, entspannter und ausgeglichener.
Wie kann ich Achtsamkeit nun üben?
- k., jetzt weißt du, was Achtsamkeit ist und warum es sich lohnt, sich mit der Sache zu beschäftigen. Jetzt bleibt noch die Frage: Wie kannst du deine Achtsamkeit üben und trainieren?
Und dazu gibt es die verschiedensten Möglichkeiten. Denn Achtsamkeit betrifft ja verschiedene Ebenen:
- die Achtsamkeit für den eigenen Körper
- die Achtsamkeit für die eigenen Gefühle, Gedanken, Impulse und Bedürfnisse
- die Achtsamkeit für die eigenen Handlungen (Was tue ich eigentlich gerade und warum tue ich es?)
- die Achtsamkeit für meine Umgebung
Und dann gilt es noch eine Sache zu trainieren: das Nicht-Bewerten und Nicht-Verurteilen.
Lass uns die einzelnen Bereiche mal durchgehen:
Übung 1: Den eigenen Körper beobachten
Achtsamkeit heißt auch, den eigenen Körper zu spüren. Also wo es ziept. Wo ich verspannt bin. Aber auch, wenn ich entspannt bin.
Oder wenn ich einen Kloß im Magen habe. Oder einen Frosch im Hals. Wenn mir kalt ist oder warm. Oder wie tief oder flach ich atme. All das gehört zum Körper.
Und diese Körper-Achtsamkeit kann ich am besten üben, indem ich mal meinen ganzen Körper durchgehe und meine Aufmerksamkeit gezielt auf meinen Körper richte.
Am besten legst du dich dazu hin. Du schließt die Augen. Und dann gehst du in Gedanken einmal deinen ganzen Körper durch.
Lenke deine Aufmerksamkeit auf deine Füße, deine Zehen, deinen Spann, deine Ferse, deinen Knöchel. Und beobachte und spüre, wie sich deine Füße anfühlen.
Warm? Kalt? Entspannt? Schwer? Leicht? Verspannt? Tut etwas weh?
Dann richte deine Aufmerksamkeit Schritt für Schritt auf den Rest deines Körpers.
Auf deine Unterschenkel, deine Knie, deine Oberschenkel, deine Hüften, deine Weichteile, deinen Po, deinen unteren Bauch, deinen unteren Rücken, deinen oberen Rücken, deinen Solarplexus, deine Brust, deine Unter- und Oberarme und deine Ellenbogen, deine Schultern, deinen Nacken, deinen Kopf und dein Gesicht.
Gehe deinen ganzen Körper ganz langsam und systematisch durch. Nimm dir dafür vielleicht 20–30 Minuten.
Das nennt man dann Bodyscan. Und das ist normalerweise eine sehr angenehme Erfahrung. Außer deiner Achtsamkeit trainierst du dadurch nebenbei auch noch deine Konzentrationsfähigkeit.
Hier mal ein Beispiel für einen angeleiteten Bodyscan:
Übung 2: Die eigenen Gedanken, Impulse, Bedürfnisse und Gefühle achtsam beobachten
Wenn du einen besseren und achtsameren Zugang zu deinem Innenleben bekommen willst, hilft dir vor allem eine Übung weiter: die Meditation.
Bei der Meditation setzt du dich mit geradem Rücken für einige Minuten hin. Entweder setzt du dich auf einen Stuhl. Oder auf ein Meditationskissen. Oder du setzt dich an eine Wand. Wichtig ist nur, dass du eine gerade und aufrechte Haltung hast.
Jetzt stellst du dir einen Wecker oder eine Eieruhr auf 2 oder 5 oder 10 oder 20 Minuten.
Dann schließt du die Augen und fokussierst deine Aufmerksamkeit ausschließlich auf genau eine Sache.
Das kann dein Atem sein.
Oder du stellst dir in Gedanken einen Gegenstand vor. Buddhisten stellen sich zum Beispiel gerne eine Buddha-Figur vor.
Oder du sagst in Gedanken immer wieder ein Wort. Am besten ein Wort, das möglichst wenig Bedeutung für dich hat. Zum Beispiel „Wolken“ oder „Zementsack“.
Dann konzentrierst du dich auf das Objekt, bis der Wecker piept.
Zwischendurch werden irgendwann deine Aufmerksamkeit und Konzentration abschweifen.
Wenn du das bemerkst, lenkst du deine Aufmerksamkeit wieder auf das Objekt deiner Meditation zurück. Und zwar möglichst ohne mit dir zu schimpfen.
Tatsächlich ist dieses Hin und Her zwischen gelenktem Fokus und unabsichtlichem Abschweifen gewollt. Also nicht ärgern, wenn deine Konzentration weggeht.
Denn dadurch übst du es, deine Aufmerksamkeit immer wieder in die von dir gewünschte Richtung zu lenken. Auch das ist der Sinn der Meditation.
Nebenbei hast du so auch einen klaren Blick auf die Gedanken, Bedürfnisse und Gefühle, die dir in deiner Konzentration dazwischenfunken.
Durch Gedanken und Gefühle während des Abschweifens wirst du sehr wahrscheinlich viele Einblicke in dein Unbewusstes bekommen, was sehr erhellend sein kann.
Du erkennst also ganz beiläufig dein Innenleben noch klarer, weil du es bewusster und absichtsvoller wahrnimmst.
Auch hier ist es wieder wichtig, deine Gedanken und Gefühle nicht zu bewerten. Nur wahrnehmen. Nur beobachten. Nicht verurteilen. Sie einfach nur kurz erkennen und dann da sein lassen. Bevor du dich wieder dem Objekt deiner Konzentration zuwendest.
Wenn du noch nie meditiert hast, fange am besten erst einmal mit 2–5 Minuten an. Denn am Anfang fällt es einem oft richtig schwer, auch nur so lange still zu sitzen.
Über 2–3 Wochen kannst du dich dann in kleinen Schritten auf 20–30 Minuten steigern.
Und noch eine wichtige Sache: Um die positiven Effekte der Meditation zu bemerken, braucht es 1–2 Wochen täglicher Übungspraxis. Hier gilt es also ein bisschen Geduld zu haben.
Hier eine geführte Meditation, die du gleich ausprobieren kannst:
Übung 3: Die eigenen Handlungen beobachten
Im Alltag ist es auch extrem nützlich, das eigene Handeln bewusst zu erleben.
Denn wie oft verzetteln wir uns in irgendetwas und wir bemerken zu spät, dass wir unsere Zeit wieder mit etwas Unwichtigem verschwendet haben.
Oder wie oft erwischen wir uns erst hinterher dabei, dass wir wieder etwas getan haben, was wir ja eigentlich gar nicht tun wollten.
Wenn du dein eigenes Handeln öfter bewusst erleben willst, kannst du das folgendermaßen üben:
Formuliere die Absicht, einen typischen Handlungsablauf mit voller Bewusstheit und Achtsamkeit zu vollziehen.
Zum Beispiel, die Geschirrspülmaschine auszuräumen.
Oder dir einen Tee zu machen.
Tue dann, was du dir vorgenommen hast, und beobachte dich bei der Handlung selbst ganz genau.
Bewege dich gezielter und ein wenig langsamer.
Achte genau auf deine Hand, wie sie die Teetasse greift. Stell die Tasse langsam und bewusst auf den Tisch. Nimm den Wasserkocher und spüre, wie er sich in deiner Hand anfühlt. Drehe deinen Körper langsam und bewusst in Richtung Wasserhahn, gehe zum Wasserhahn und fülle den Wasserkocher. Und so weiter.
Bleibe mit deiner Aufmerksamkeit die ganze Zeit bei deiner Handlung. Du kannst dabei auch jeden Handgriff im Kopf kommentieren. Indem du zu dir selbst so etwas sagst wie:
„Jetzt fülle ich die Tasse mit heißem Wasser. Und jetzt greife ich den Teebeutel und hänge ihn langsam in die Tasse.“
Durch das wörtliche Beschreiben der eigenen Handlung ist es oft einfacher, mit den Gedanken beim eigenen Handeln zu bleiben.
Und auch hier gilt es wieder, deine eigenen Handlungen nur wertfrei zu beobachten und nicht zu verurteilen. Wenn dir zum Beispiel etwas herunterfällt. Dann sagst du nur zu dir:
„Oh, jetzt ist mir der Teebeutel heruntergefallen. Ich bücke mich, ich hebe den Teebeutel auf und hänge ihn in die Tasse.“
Dieses bewusste und achtsame Ausüben einer Handlung ist auch eine Art der Meditation. Und du übst dadurch, deine alltäglichen Handlungen in Zukunft mit mehr Achtsamkeit auszuüben.
Wenn du diese Form der Übung regelmäßig durchführst, wirst du dich in Zukunft regelmäßig dabei erwischen, wie du im Alltag ganz von alleine deine Handlungen bewusster und achtsamer ausübst.
Und du wirst dich öfter bei unerwünschten Impulshandlungen erwischen. So hast du dann die Chance, bewusst einzugreifen und das unerwünschte Muster zu unterbrechen.
Übung 4: Dinge nicht bewerten
Zentraler Teil der Achtsamkeitspraxis ist es zu lernen, nicht so viel zu bewerten und nicht zu verurteilen.
Dich selbst nicht zu bewerten.
Andere Menschen nicht zu bewerten.
Das, was passiert, nicht zu bewerten.
Also zu lernen, etwas einfach nur ohne Werturteil stehen zu lassen.
Ohne zu sagen:
„Das ist jetzt gut oder schlecht.“
Oder:
„Das ist böse oder gut.“
Ohne eine Bedeutung daran zu heften, wie zum Beispiel:
„Dass mir das passiert ist, bedeutet, dass ich zu blöd oder zu ungeschickt bin.“
Es gilt die Dinge nur zu beobachten.
Was zugegebenermaßen wirklich schwer ist und einiges an Übung erfordert.
Aber es lohnt sich, denn viel Anspannung, Druck und Stress in unserem Leben entsteht, indem wir automatisch Bedeutungen an die Dinge heften, die uns passieren.
Die zusätzliche Akte auf meinem Schreibtisch bedeutet mehr Arbeit heute und ich komme wahrscheinlich nicht rechtzeitig nach Hause.
Und dieser Gedanke ist verständlich, aber er erzeugt bei mir Stress und Druck.
Wenn ich die Akte nur als das wahrnehmen würde, was sie ist. Also eine Akte auf meinem Schreibtisch. Dann könnte ich mich um die Sache kümmern, wenn sie dran ist. Und der Gedanke an die Bedeutung, also die zusätzliche Arbeit, würde mir nicht meine Zeit jetzt vermiesen.
Der zusätzlichen Akte eine Bedeutung zuzuweisen, ist verständlich. Aber es ist in diesem Fall nicht nützlich.
Deswegen ist es sinnvoll, das nackte, bewertungsfreie Wahrnehmen zu üben und sich das Bewerten abzutrainieren. Zumindest dann, wenn es eben nicht nützlich ist.
Aber wie kann ich es üben, weniger zu urteilen und zu werten? Dabei helfen dir einige Ideen:
- Du kannst nicht in die Zukunft sehen
Mach dir klar, dass du nicht in die Zukunft sehen kannst. Mach dir klar, dass du nicht wissen kannst, wie sich eine Sache entwickelt. Und dass es vielleicht anders kommen wird, als du vermutest.
Deine Bewertung „Das ist schlecht“ kann falsch sein. Die Sache könnte sich auch als gut herausstellen. Bestimmt ist dir das schon passiert, dass sich eine vordergründig gute Sache als schlecht oder dass sich eine klar schlechte Sache im Nachhinein als gut herausgestellt hat.
Mach dir also wieder und wieder klar, dass du es nicht wissen kannst.
Wenn du dich dabei erwischst, dass du etwas als gut oder schlecht bewertest, mach dir selbst klar, dass alles zwei Seiten hat und dass du es nicht wissen kannst, ob es wirklich gut oder schlecht ist.
- Bring dich zum Perspektivwechsel
Um dich vom Bewerten zu heilen, übe, immer die Gegenposition einzunehmen.
Wenn du also etwas als schlecht oder gut bewertest, dann zwinge dich selbst dazu, in die Gegenrichtung zu denken.
- Was könnte das Gute daran sein, dass ich ungeschickt bin?
- Warum ist es vielleicht schlecht, dass sie mich für diesen Job wollen?
- Welche Chancen stecken vielleicht darin, dass ich den Wettbewerb verloren habe?
- Was ist vielleicht gut daran, dass dieser Populist die Wahl gewonnen hat?
Alles hat immer mehrere Seiten. Nichts ist nur gut oder nur schlecht.
Wenn du dich darin übst, immer die Gegenposition zu einer Bewertung einzunehmen, wirst du im Geist freier und beweglicher und machst dir selbst weniger Druck und Stress.
- Wenn du andere bewertest …
Es gibt noch einen Sonderfall der Bewertung. Das ist die Bewertung anderer Menschen.
Auch diese Art der Bewertung führt dazu, dass ich mich oft stundenlang über jemanden ärgere und aufrege und so meine innere Ruhe und Ausgeglichenheit ohne Nutzen aufs Spiel setze.
Was hier hilft, ist eine Technik, die ich irgendwo im Internet gefunden habe. Die Technik heißt, sich selbst mit einbeziehen.
Wenn ich jemanden bewerte, dann gebe ich danach gleich zu, dass ich in der Richtung auch manchmal unperfekt bin.
- Der ist so ein Schwätzer. So wie ich auch manchmal.
- Sie ist so oberflächlich. So wie ich auch manchmal.
- Auf ihn kann man sich nicht verlassen. Auf mich auch manchmal nicht.
Indem du zugibst, dass du selbst nicht perfekt bist, relativierst du deine Bewertung.
Und so nimmst du der Sache die Befriedigung, die wir sonst aus der Selbsterhöhung ziehen. Und so lassen wir es dann schnell. Ein Akt der Selbsterziehung also.
Mit diesen 3 Ideen kannst du lernen, weniger zu bewerten und zu verurteilen. Was ja die Grundhaltung bei der Achtsamkeitspraxis ist.
Ein Achtsamkeits-Übungsprogramm zusammenstellen
Achtsamkeit ist, wie alles, eine Sache, die geübt werden muss, wenn sie in unseren Alltag kriechen soll. Es reicht nicht, die Theorie zu kennen. Es ist eine Sache, die wir erst erfahren und kennenlernen, wenn wir sie ausprobieren. Wieder und wieder und wieder.
Deswegen fällt im Achtsamkeitsbereich auch immer wieder das Wort: Übungspraxis. Also die Praxis meines Übens und Besser-Werdens.
Jetzt wäre meine Frage: Wie könnte deine Übungspraxis aussehen?
Natürlich kannst du diese Frage nur beantworten, wenn du der Meinung bist, dass du von mehr Achtsamkeit profitieren könntest.
- Was willst du in den nächsten Wochen üben?
- Wann genau willst du es üben?
- Wie viel Zeit willst du pro Woche oder pro Tag für deine Übungspraxis investieren?
- Wie sorgst du dafür, dass die Sache in deinem Alltag nicht untergeht?
Wenn du deine Übungspraxis planen willst, könntest du dir solche Fragen stellen.
Und nun wünsche ich dir ganz viel Achtsamkeit. Mit dir. Mit deiner Umgebung. Und mit den Menschen um dich herum.
@Ralf Senftleben – www.zeitzuleben.de
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