Manchmal erleben wir Situationen, die schwer zu akzeptieren sind. Die radikale Akzeptanz schlägt vor, den Schmerz durch ihre Praxis und ihre Art, das Leben zu verstehen, zu reduzieren.
Um zu erklären, was radikale Akzeptanz bedeutet, beginnen wir mit einem Beispiel. Versuche, dich in folgende Situation einzufühlen: Du hast dich jahrelang auf deinen Traumjob vorbereitet. Eines schönen Tages spürst du, dass die Zeit gekommen ist und du bewirbst dich für ein Vorstellungsgespräch. Es läuft gut, sogar besser als erwartet. Nach ein paar Tagen erhältst du die Nachricht, dass du den Job bekommen hast und du demnächst den Vertrag unterschreiben kannst.
Du bist überglücklich, denn du hast endlich etwas erreicht, wofür du so lange gekämpft hast. Doch der Anruf kommt nicht und deine Laune wird von Tag zu Tag schlechter. Du meldest dich schließlich und erfährst, dass eine andere Person mit mehr Erfahrung und besserer Qualifikation den Job erhalten hat. Wie würdest du dich fühlen?
Wahrscheinlich empfindest du die Situation als absolut unfair und erlebst unangenehme, negative Gefühle: Ärger, Wut, Frustration, Traurigkeit, ein Gefühl der Niederlage, Demotivation und eine Leere, die schwer zu füllen ist. In den ersten Tagen nach der unerwarteten Nachricht wechseln sich die negativen Gefühle ab und lähmen dich.
Die Frage ist: Wie gehst du mit deinen Gefühlen um, wie bewältigst du die Situation? Vielleicht navigierst du zwischen deinen Gefühlen hin und her, verankert im Leiden, ohne zu wissen, wie du handeln sollst, oder du ignorierst die Realität und setzt dein Leben fort, als wäre nichts geschehen.
In der einen oder anderen Situation gehst du nicht auf gesunde Weise mit dem um, was dir widerfahren ist. Die radikale Akzeptanz könnte dir helfen, eine andere Perspektive zu finden und mit diesem Ereignis besser umzugehen.
Was ist radikale Akzeptanz?
Im Laufe deines Lebens hast du wahrscheinlich Situationen erlebt, die schwer zu ertragen waren. Vielleicht wurdest du von einer geliebten Person abgelehnt, oder du hattest finanzielle Schwierigkeiten, wurdest entlassen oder musstest den Verlust eines geliebten Menschen ertragen. Auch viel weniger tiefgreifende Situationen können große Frustration und Leid hervorrufen.
Wir alle kennen Menschen, die nicht akzeptieren können, dass sie eine Prüfung nicht bestanden haben, den Job verlieren oder sich im Supermarkt jemand vordrängelt. Die Grundlage des Leidens ist in all diesen Beispielen dieselbe: die Nichtakzeptanz der Realität.
Radikale Akzeptanz ist nichts anderes als die Bereitschaft, das Leben so zu leben, wie es ist, mit seinen Vor- und Nachteilen. Dieses Konzept ist Teil der dialektischen Verhaltenstherapie (DBT ), die von der Psychologin Marcha M. Linehan entwickelt wurde. Sie basiert auf Ansätzen aus der kognitiven Verhaltenspsychologie sowie auf östliche Zen-Praktiken. In der Praxis war es die Psychologin und Meditationslehrerin Tara Brach, die mit Werken wie “Mit dem Herzen eines Buddha: Heilende Wege zu Selbstakzeptanz und Lebensfreude” oder “Dein furchtloses Herz: Mit der RAIN-Methode schwierige Emotionen heilen” diese Technik verbreitete.
Radikale Akzeptanz in die Praxis umsetzen
Der erste Schritt ist, die Realität anzuerkennen, wie auch immer sie aussieht. Du musst damit aufhören, sie zu bekämpfen. Tatsächlich leidest du am meisten, wenn du die Ereignisse nicht akzeptierst und dich dagegen wehrst.
Das bedeutet nicht, dass du dich damit abfinden musst. Resignation ist eine defätistische Option, die keine Lösung möglich macht. Radikale Akzeptanz hingegen ermöglicht dir mindestens zwei Lösungswege für Konflikte.
Erstens ermutigt sie dich, keine Energie mehr in den Kampf gegen die Realität zu investieren und unangenehme Gefühle zu bewältigen. Wenn du dich nicht mehr wehrst, fällt dir die Kontrolle über die Situation leichter. Du kannst dich dann darauf konzentrieren, sie zu bewältigen. Mit anderen Worten kannst du deinen Problemen proaktiv begegnen.
So funktioniert radikale Akzeptanz
Jeder Prozess im Leben, der Schmerz erzeugt, unterscheidet sich aufgrund seiner Besonderheiten von anderen. Die meisten folgen jedoch einer gemeinsamen Struktur, die Leiden verursacht. Deshalb kannst du einige Grundprinzipien der radikalen Akzeptanz anwenden, die dir helfen werden, deinen Schmerz besser zu kanalisieren.
- Suche dir einen ruhigen Ort, an dem du ein paar Minuten lang in einer bequemen Position sitzen kannst.
- Konzentriere dich auf deine Atmung.
- Beobachte die Gedanken, die dir Unbehagen bereiten.
- Halte dich nicht mit diesen Gedanken auf, betrachte sie einfach als vorbeiziehende Wolken. Du bist nicht diese Gedanken, auch wenn du dich mit ihnen identifizierst.
- Analysiere, welche Emotionen sie in dir auslösen.
- Akzeptiere diese Emotionen und lass sie zu. Sie haben die Funktion, deine Frustration und deinen Schmerz zu kanalisieren.
- Wiederhole ein Mantra in dir, mit dem du die Situation besser akzeptieren kannst. Das kann ein Satz sein wie: “Es ist, wie es ist”, “Es ist nur eine weitere Erfahrung in meinem Leben, ich akzeptiere sie” oder “Ich bin in Frieden mit dem, was mir passiert”. Es ist wichtig, dass der Satz bei dir ankommt, sonst wird es sehr schwierig für dich, ihn zu verinnerlichen.
- Der Schmerz wird wahrscheinlich nicht sofort verschwinden, aber du kannst dieses Mantra so oft wie nötig wiederholen, wenn die Gedanken und Gefühle, die dir Unbehagen bereiten, wiederkehren.
Was kann passieren, wenn wir unsere Umstände nicht akzeptieren?
Die Ablehnung der Realität beseitigt unseren Schmerz nicht, im Gegenteil: Sie vergrößert ihn und verwandelt ihn in Leid. Denken wir an das klassische Beispiel der Person, die eine Trennung nicht akzeptiert, auch wenn bereits Monate oder Jahre vergangen sind. Ihr Leben wird zu einer Negativspirale, die sogar zu Depressionen führen kann, wenn sie nicht richtig damit umgeht.
Das bedeutet nicht, dass es einfach ist, schwierige Situationen zu akzeptieren. Widrige Umstände zu überwinden, ist sehr schmerzhaft und kompliziert. Unser Instinkt kann versuchen, das Geschehene zu leugnen oder es nicht zu akzeptieren, weil es so zunächst weniger weh tut.
Das Problem ist, dass Widerstand den Schmerz unweigerlich vergrößert. Aus diesem Grund kann radikale Akzeptanz ein sehr nützliches Werkzeug sein.
Letztlich geht es bei diesem Ansatz darum, das Leben als Achterbahn zu akzeptieren: Es wird immer schmerzhafte und glückliche Augenblicke geben. Dies zu akzeptieren kann dir das Gefühl der Erleichterung und des Friedens geben.
@Gedankenwelt (über Kopp-Wichmann)
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