Veränderer, die Regeln in ihrer Organisation brechen wollen, sollten sie besser kennen!
Die Geschichte ist schon ein paar Jahre her, trotzdem erinnert sich Anja daran, als ob sie gestern geschehen wäre: Damals war Anja Managerin in einer großen amerikanischen Beratungsfirma.
Die Geschäftsführung äußerte die Bitte an die Mitarbeiter, sich einzubringen – mit Ideen, mit konstruktiver Kritik und mit Vorschlägen für Veränderung. Soweit so gut. Diese Aufforderung wurde von einem jungen Consultant aus Dänemark, der seit knapp einem Jahr dabei war, bereitwillig aufgegriffen.
Er setzte sich an seinen Laptop und schrieb eine Mail. Darin skizzierte er, was alles in der Firma nicht gut lief: So beispielsweise, dass wichtige Informationen von der Geschäftsleitung nur unzureichend an die Mitarbeiter weitergeben würden bis hin zum Kritikpunkt, dass die Kommunikation nur eindimensional verlaufe und die Mitarbeiter nicht ausreichend Möglichkeiten hätten, Stellung zu beziehen, ihre Meinungen mitzuteilen und Feedback zu geben.
Und dann drückte er auf „Send“ und versendete seine Mail an den kompletten Verteiler Nordeuropa – also an alle Mitarbeiter dieser Region – und das waren einige tausend Personen.
Warum wir diese Geschichte erzählen? Weil erstens die Mail des jungen Veränderers aus Dänemark überhaupt keine Wirkung erzielt hat. Seine inhaltlichen Punkte wurden komplett ignoriert. Weil zweitens die Karriere des jungen Mannes bei dieser Firma recht bald zu Ende ging. Und das, obwohl er drittens inhaltlich eigentlich recht hatte. Aber vor allem, weil er viertens gezeigt hat, wie man es NICHT machen sollte. Wie man es also NICHT schafft, in einer Organisation etwas zum Positiven zu verändern.
Denn es gibt eben auch Regeln für den Regelbruch. Und Veränderer, die diese Regeln ignorieren, laufen mit ihrem Ansinnen ins Leere.
Veränderer und kritische Geister als Warnsystem
Natürlich braucht jede Organisation kritische Geister, die sich mit konstruktiver Kritik, neuen Ideen und Änderungsvorschlägen einbringen. Diese Veränderer, die wir Rebels at Work nennen, sollten nicht als Störenfriede gebrandmarkt werden, sondern müssen als wichtiges „Warnsystem“ für das Unternehmen verstanden und wertgeschätzt werden.
Trotzdem gilt aber auch für alle kritischen Geister und Unternehmensrebellen:
Wer die Regeln in einer Organisation brechen will, sollte sie kennen!
Was wir in drei Jahrzehnten gelernt haben durch unsere eigene Arbeitserfahrung und durch die Begegnungen und Gespräche mit mutigen Veränderern: Es gibt Fallstricke. Und es gibt zwei Wege damit umzugehen:
Option A: Volle Kraft voraus!
Du lässt dir keinen Maulkorb verpassen. Du sagst, was du denkst. Du eröffnest einen Guerillakrieg gegen „das System“. Du pfeifst auf die Regeln, denn die sind dafür da, gebrochen zu werden. Wenn du damit auf Widerstand oder sogar Abwehr triffst, stärkt das nur deinen Kampfgeist.
Option B: Haushalte klug mit deinen Kräften!
Du bist dir bewusst, dass deine Ressourcen und deine Energie endlich sind und du setzt sie deshalb klug und zielgerichtet ein, um die gewünschte Wirkung zu erzielen.
Da wir große Freunde der Option B sind, möchten wir dir vier Punkte skizzieren, die einen klugen, wirksamen und ressourcenfreundlichen Weg der Veränderung ermöglichen.
- Veränderer agieren professionell
Eine Organisation wird von Profis gestaltet. Nicht von Amateuren. Deshalb sollten Veränderer ebenfalls denken, handeln und kommunizieren wie Profis.
Es mag zwar wagemutig sein, so wie der junge Consultant aus Dänemark einfach mal einen Verteiler zu kapern, der nur für „offizielle Verlautbarungen“ reserviert ist.– Aber es war weder klug noch professionell, so zu handeln.
Und: Der Ton macht die Musik. Wer inhaltlich einen Punkt machen will, sollte nicht schon mit der Form anecken. Vielmehr geht es darum, sich vorher gut zu überlegen, wie das eigene Anliegen klug und umsichtig vorzutragen wäre. Wer beispielsweise seine Kritikpunkte als unwiderlegbaren Fakten darstellt und keinerlei konstruktive Lösungsansätze unterbreitet, darf sich nicht wundern, wenn das als anklagend aufgefasst wird und eine Verteidigungsreaktion erzeugt.
Klüger und professioneller wäre es, offen zu sagen, was man anders und besser machen möchte, warum man das alte Vorgehen, den alten Prozess gegen eine neuen ersetzen möchte. Wer die alten Regeln brechen will, sollte auch in der Lage sein, neue, für andere nachvollziehbare und bessere an ihre Stelle zu setzen. All das in der Form gut durchdacht und inhaltlich gut argumentiert. Es geht also darum, die Veränderung mit dem Hirn voranzubringen und nicht mit dem Vorschlaghammer. Letzteres ist schlichtes Querulantentum, das zu nichts führt, außer sich selbst ins Abseits zu manövrieren.
- Veränderer verstehen den Unterschied zwischen Macht und Status
Jeder Veränderer muss zwei Konzepte unbedingt auseinanderhalten: Macht und Status. Diese Differenzierung ist elementar!
MACHT bedeutet, Kontrolle und Autorität über andere auszuüben, sodass diese sich den Ansichten oder Wünschen des Machtinhabers unterordnen und entsprechend verhalten. Also: Weil ich der Chef bin, macht ihr das so.
STATUS ist das mit einer Position in einer Gruppe verbundene Ansehen. Damit sind wiederum Rechte verknüpft, die jemandem von dieser Gruppe zugestanden werden. Vereinfacht ausgedrückt: Einen hohen Status innezuhaben heißt, respektiert oder sogar bewundert zu werden.
Und hier ist der Satz, den wir gerne den Rebels at Work, den Veränderern, den Innovatoren, den Weiterentwicklern ins Stammbuch schreiben wollen:
Wer glaubt, wirksam Einfluss nehmen zu können, ohne Respekt und Ansehen zu besitzen, der wird mit seinem Ansinnen scheitern!
Und Respekt und Ansehen kannst du nicht einfordern, sondern du musst es dir verdienen.
Um das verständlicher zu machen, greifen wir mal zurück in die Geschichte: Mahatma Gandhi, der große Freiheitskämpfer und Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung, hatte keinerlei Macht im Sinne eines offiziellen Amtes. Er war Rechtsanwalt und Publizist – die Ehrenbezeichnung als „große Seele“ und den damit verbundenen enormen Respekt hatte er sich erst durch sein Handeln verdienen müssen.
Und so läuft es nicht nur bei Freiheitskämpfern, die auf der großen Weltbühne Veränderung vorantreiben – sondern auch auf der „kleinen Bühne“ in einer Organisation: Veränderer, die kritisieren oder sich einmischen, ohne sich zuvor Respekt verdient zu haben, werden als schwierig, vorlaut und respektlos angesehen und haben sich ihre Zukunft so selbst verbaut.
Das ist auch nachvollziehbar und jeder kennt das vermutlich aus eigenem Erleben: Wer sich unseren Respekt nicht verdient hat, von dem wollen wir uns ganz bestimmt nicht diktieren lassen, wie wir uns besser oder anders zu verhalten haben. Ein solches Vorgehen erzeugt bei den so „Belehrten“ sofortigen Widerstand.
- Veränderer lernen von Francis Ford Coppola
Francis Ford Coppola, der amerikanische Regisseur, hat mal gesagt:
“The way to come to power is not always to merely challenge the establishment, but first make a place in it and then challenge and double-cross the establishment.”
Dieser Satz ist so profund, so wahr und so brillant, dass wir ihn genauer anschauen wollen: Coppola spricht davon, dem Establishment die Stirn zu bieten und es herauszufordern. Das funktioniert aber nicht im Hauruck-Verfahren. Coppola schlägt eine andere Strategie vor: Zuerst erarbeitest du dir einen Platz unter den etablierten Machthabern, dann erst forderst du sie heraus!
Das heißt für alle klugen Regelbrecher und Veränderer: Der erste Schritt besteht darin, sich seinen Platz in einer sozialen Gruppe zu erarbeiten – wie Coppola es treffend auf den Punkt bringt.
Plakativ ausgedrückt: Wir schütteln den Kopf und sind sogar verärgert, wenn jemand, der sich sein Standing noch nicht erarbeitet hat, plötzlich aufsteht und die Richtung vorgeben will, in der sich die Dinge bitteschön ändern sollten. Ganz anders sieht es aus, wenn jemand, der sich sein Ansehen bereits erarbeitet hat, aus der Reihe tanzt und das Establishment herausfordert. Dieses Vorgehen wird nicht nur toleriert, sondern hat auch gute Chancen, Anhänger und Sympathisanten zu mobilisieren. Und das bringt uns zum vierten Punkt:
- Veränderer suchen sich Verbündete
Es ist ziemlich einfach, einzelne Personen mit ihren Veränderungsideen zu marginalisieren. Eine ganz andere Sache ist es, wenn es Verbündete gibt. Dann verwandelt sich individuelle Autorität in kollektive Autorität. Als Konsequenz: Jeder Veränderer, der eine mutige Idee vorantreiben will, sollte auch mögliche Partner identifizieren, aktivieren und sein Netzwerk pflegen.
Diese Fragen können dir dabei helfen:
- Wer befindet sich bereits auf deiner Linie?
- Wer würde deinem Standpunkt naturgemäß Sympathien entgegenbringen?
- Gibt es bereits Initiativen im Unternehmen, die du für deine Zwecke nutzen kannst?
- Welche sozialen Medien – intern und extern – würden deinem Anliegen Momentum verleihen?
Mach dir klar: Erfolgreiche Veränderer sind Netzwerker. Sie verwenden einen signifikanten Teil ihrer Zeit darauf, in allen Ecken und Winkeln der Organisation nach Verbündeten jeglicher Couleur zu suchen und den Kontakt zu ihnen auszubauen und zu pflegen.
Wenn du etwas vorantreiben willst, das mit den Konventionen bricht, dann bekommst du Gegenwind. Das ist doch klar. In Unternehmen hast du sofort alle zu Gegnern, die aus dem Status quo ihren Vorteil gezogen haben. Organisationen haben eine immense Stabilitätsneigung. Ihr Beharrungsvermögen ist so groß, dass es sie – wie schon häufiger zu besichtigen – bis in den Untergang treiben kann.
Verschwende keine Zeit mit Gegnern
Eine folgerichtige Frage wäre also: Wie willst du die Bremser und Veränderungsgegner für deine Sache gewinnen?
Unsere Empfehlung: Vergiss deine „Gegner“!
Verausgabe dich nicht damit, Menschen „ins Boot“ holen zu wollen, die nichts damit anfangen können. Wer darauf setzt, dass auch der letzte Bedenkenträger bereit ist für den Einstieg ins Boot, kann darüber sehr alt und frustriert werden.
Anstatt also alle für dich und dein Anliegen gewinnen zu wollen, ist es klüger, nach denjenigen Ausschau zu halten, die sich mit dir und deiner Sache identifizieren!
Investiere deine Zeit klug, eine „Streitmacht“ von Verbündeten aufzubauen. Nimm dir Zeit, diese Beziehungen zu pflegen. Das ist wichtig, weil deine Verbündeten ebenso wie du Gegenwind erhalten und weil sie deshalb deine kontinuierliche Unterstützung brauchen. Nimm deine Mitstreiter also niemals für selbstverständlich. Das ist ein weit verbreiteter strategischer Irrtum. Deshalb ist die Beziehungspflege so wichtig und die in sie investierte Zeit sinnvoll angelegt.
Und schließlich kann das der Start für einen Dominoeffekt sein: Bring deine Verbündeten dazu, den Großteil ihrer Zeit in die Suche nach weiteren Verbündeten zu investieren!
Kritische Geister sind überlebenswichtig
Wenn du also ein kritischer Geist bist, ein Weiterdenker, ein Veränderer, ein Freigeist, ein Wachrüttler, ein Vorwärtsbringer oder Andersdenker, dann möchten wir dich ausdrücklich ermuntern und bestärken: Du wirst gebraucht! Weil Menschen wie du Veränderung anstoßen, provozieren, in Gang bringen, konstruktiv irritieren und stören.
Aber nicht um des Irritierens und Störens willen, sondern um der Weiterentwicklung willen. Letztlich um des Überlebens willen. Denn Unternehmen und Gesellschaften, die sich nicht weiterentwickeln, erstarren und sterben früher oder später.
Vier Grundsätze für Dich
Aber! Ein dickes, fettes Aber: Wer sieht, dass etwas falsch ist, muss dem eine neuere, bessere Lösung entgegensetzen. Und er ist in der Pflicht, das auf eine Weise zu tun, die nicht Ablehnung, sondern Veränderung erzeugt. Du bist nicht der erste Veränderer auf der Welt. Diejenigen, die vor dir kamen, haben die genannten vier Grundsätze beherzigt
- Erstens: Veränderer leben Professionalität.
- Zweitens: Veränderer verstehen Macht und erlangen Status.
- Drittens: Veränderer erarbeiten sich zuerst Standing und erst dann tanzen sie aus der Reihe.
- Viertens: Veränderer suchen sich Verbündete.
Du musst erst erkennen, was falsch ist, dann verstehen, warum das so ist und wie du es verändern kannst, und dann es tatsächlich verändern.
Oder kurz gesagt: Kenne die Regel, die du brichst!
@Förster & Kreutz
Fotonachweis: Ross Findon on Unsplash