Die Lehren der Selbsthilfeszene treiben manchmal echt komische Blüten.
Diese Woche hat mir jemand gesagt:
“Arne, ich möchte einfach lernen, gelassener zu bleiben und Negatives nicht mehr so nah an mich ranzulassen. Ich will nicht mehr meckern und damit meine Umwelt belasten, sondern ich möchte positiv sein und in mir ruhen.”
Diese Aussage kam, als ich ihn gefragt hatte, warum er sich entschuldigt hat, nachdem er in einem Nebensatz negativ über eine andere Person geredet hat.
Weißt du: Ich verstehe das. Ich kenne das nur zu gut. Perfekt sein zu wollen. Möglichst glücklich sein zu wollen.
Aber seien wir ehrlich:
Wir haben früher gelernt, wir wollten uns auf bestimmte Art und Weise verhalten, damit wir akzeptiert und gemocht werden.
Wir sollten nett zu anderen sein, nicht anstrengend sein, im Haushalt mithelfen, alten Damen im Bus einen Platz anbieten, etc.
Nichts davon ist etwas Schlechtes, aber die Motivation hinter diesen Handlungen wurde durch “Erziehung” geprägt.
Wir tun diese Dinge nicht, um mehr Leichtigkeit und Liebe im Leben zu verbreiten.
Wir tun diese Dinge aus Angst.
Aus der Angst, nicht gemocht zu werden, wenn wir sie nicht tun.
Das ist “Erziehung”.
Und in der Persönlichkeitsentwicklung geht das weiter.
Vielleicht versuchst du nun, positiver zu denken und innerlich ruhiger zu bleiben.
Dich weniger aufregen zu lassen.
Doch wenn wir ehrlich sind, ist der Grund dahinter meist nicht “Um innerlich so viel Liebe anzuhäufen, dass die ganze Welt davon mitgenährt wird.”, sondern wieder eine Wiederholung des alten Musters:
“Ich will für andere so wenig anstrengend sein wie möglich, damit sie mich mehr mögen und mich nicht verlassen”.
Und genau aus dieser tieferen Intention heraus, werden wir plötzlich panisch, wenn wir dann doch mal die Kontrolle verlieren, sauer werden, blockiert sind oder etwas Negatives äußern.
Weil wir instinktiv denken “JETZT wird mich keiner mehr lieben”.
Aber das ist der größte Blödsinn überhaupt.
Eine rein positive Welt…
Ehrlich: Wie soll das ein Mensch aushalten, ständig nur lächelnde Gesichter um sich herum zu haben?
Wir soll das ein Mensch aushalten, immer gut drauf sein zu müssen und keinen Schmerz an sich heranlassen zu dürfen?
Unmöglich.
Der Schmerz ist heilig.
Wut ist heilig.
Solange, wie du deine Wut, deine Trauer und deine Schwäche ablehnst, werden dich diese Gefühle überrennen, sobald sie doch einmal auftauchen.
Es geht nicht darum, nie mehr negativ sein zu dürfen.
Wenn überhaupt, dann geht es darum, zu lernen, WANN und BEI WEM es schlau ist, dich offen und verletzlich zu machen… und wann oder bei wem eben nicht.
Was will ich in einem Arbeitsumfeld, das Null Spielraum für Fehler oder schlechte Tage hat?
Was will ich in einer Beziehung, in der ich nicht auch mal Fehler machen und schwach sein darf?
Du darfst schlecht drauf sein.
Du darfst deinen Schmerz auf andere projizieren.
Du bist kein Roboter.
Es gibt einen Unterschied zwischen “schlechten Zeiten” und Kontrollverlust und einem “Normalzustand”.
Gönn dir die schlechten Zeiten auch mal… sonst bleiben sie unausgedrückt in deinem inneren…
… und du läufst Gefahr, dass sie zu deinem Normalzustand werden.
Das wäre nicht für andere am schlimmsten, sondern für dich.
Denn du bist wichtig.
@ Arne Tempel
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