Der Mann ist ein harter Brocken. Mit ihm zu arbeiten, ist definitiv kein Spaziergang.
Umso erstaunlicher, nach welchen Kriterien Jeff Bezos, der zu den erfolgreichsten Unternehmern unserer Zeit gehört, die Menschen auswählt, die ihn bei der Verwirklichung seiner ambitionierten Ziele unterstützen.
Man könnte glauben, dass er Menschen sucht, die sich ihrer Sache extrem sicher sind und ihre Überzeugungen äußerst selbstbewusst verteidigen.
Das Gegenteil ist aber der Fall: Er engagiert bevorzugt Menschen, die ihre Meinung häufig ändern.
Bezos ist der Überzeugung, dass die klügsten Menschen ihr Urteil auch revidieren und bereit sind, Probleme, die bereits gelöst zu sein scheinen, noch einmal zu überdenken. Kurzum: Menschen, die offen sind für neue Sichtweisen, neue Informationen und neue Ideen. Und die das konstruktive Herausfordern ihrer eigenen Denkweise nicht als Missstand, sondern als nutzbares Potenzial verstehen.
Bist du Prediger, Staatsanwalt oder Politiker?
Das, was Bezos kultiviert, ist konträr zur üblichen Praxis in vielen Unternehmen. Hinterfragen, zugeben, dass man sich geirrt hat und die eigene Meinung zu ändern, gilt dort nicht als Stärke, sondern als Zeichen von Wankelmut.
Folglich gilt: Wer dem eigenen Denken treu bleibt, beweist damit auch Standfestigkeit. Das ergibt Sinn in einer stabilen Welt. Aber in einer sich schnell verändernden Welt kann es zum Problem werden. So verstandene Standfestigkeit verhindert geistige Beweglichkeit.
Eine sehr augenöffnende Dechiffrierung des weitverbreiteten Denkens in vorgefassten Denkbahnen kommt von dem Psychologen Phil Tetlock, der als Professor an der University of Pennsylvania tätig ist. Wir sind auf sein Modell des Prediger-, Staatsanwalts- oder Politiker-Denkmodus in Adam Grants lesenswerten Buch “Think Again” gestoßen.
Entsprechend diesem Ansatz verfallen wir, während wir denken und reden, oft in die Denkweise von drei verschiedenen Berufsgruppen. Vielleicht erkennst du dich da wieder …
A) Predigermodus
Dieser Modus erlebt immer dann seinen großen Auftritt, wenn heilige Überzeugungen von uns in Gefahr zu geraten drohen. Dann halten wir Predigten, in denen wir unsere Prinzipien standfest verteidigen und versuchen, andere von unserer Denkweise zu überzeugen.
B) Staatsanwaltmodus
Hier geht es vor allem darum zu beweisen, dass du Recht hast. Wer in diesem Modus unterwegs ist, schaut in seiner Argumentation auf die vermeintlichen Denkfehler anderer Leute und stellt entsprechend seine Argumente zusammen, um zu beweisen, dass der andere falsch liegt und er selbst im Recht ist.
C) Politikermodus
Die Zustimmung anderer zu bekommen, ist hier das große Ziel. Das Werben für die eigenen Ideen steht im Vordergrund und es geht darum, möglichst viel Zustimmung zu erhalten.
Das Problem: Wenn du im Prediger-, Staatsanwalts- oder Politiker-Denkmodus feststeckst, hast du bereits final entschieden, dass du Recht hast. Deine kognitive Arbeit ist abgeschlossen, du hinterfragst nicht mehr, du denkst nicht mehr neu.
Im Predigermodus predigst du von der Kanzel, als Staatsanwalt versuchst du, dich und deine Ansicht ins Recht zu setzen und beim Gegenüber Schwachpunkte zu identifizieren – und als Politiker hängst du dein Fähnchen in den Wind, um möglichst viel Zustimmung zu erhalten.
Die Welt durch die Brille des Wissenschaftlers sehen
Man kann diesen Denkfallen zwar nicht völlig entgehen, aber durch Nachdenken die Dauerschleife der geistigen Schonhaltung – und nichts anderes ist die Verteidigung bereits vorgestanzter Denkbahnen – durchbrechen. Konstruktiver Zweifel ist dabei hilfreich. Deshalb gefällt uns der vierte Weg, den Adam Grant vorschlägt: Nämlich wie ein Wissenschaftler zu denken. Das heißt nicht, dass man einen weißen Kittel tragen und mit Reagenzgläsern hantieren muss. Es geht vielmehr um die Geisteshaltung dahinter.
D) Der Wissenschaftlermodus
In den Wissenschaftlermodus zu wechseln bedeutet, unvoreingenommen zu sein. Nach Gründen zu suchen, warum du falsch liegen könntest – und nicht nach Gründen, warum du Recht hast. Dafür brauchst du weniger Drang zur Selbstbestätigung und mehr echtes Selbstbewusstsein, verbunden mit der Bereitschaft, deine Ansichten basierend auf dem, was du lernst, immer wieder zu revidieren.
Und genau diese Haltung macht einen enormen Unterschied: Seine Meinung zu ändern, ist im Predigermodus ein Zeichen von Schwäche. Im Wissenschaftlermodus ist es hingegen ein Zeichen intellektueller Integrität.
Sich von jemand anderem überzeugen zu lassen, ist im Staatsanwaltmodus das Eingeständnis einer Niederlage. Im Wissenschaftlermodus ist es hingegen ein Schritt in Richtung Wahrheitsfindung.
Konstruktiver Zweifel ist ein geistiger Dauerauftrag
Der Zweifel ist der Weisheit Anfang, meinte René Descartes. Jedes Denken, das keinen konstruktiven Zweifel kennt, bleibt weit unter seinen Möglichkeiten. Denn dann tappst du in eine selbst gestellt Falle: Deine kognitive Arbeit ist abgeschlossen. Du bleibst bei einer festgetackerten Sichtweise, die starr ist und die nur zu dem passt, was du bereits kennst. Statt gründlich nachzudenken, fährst du volle Pulle im Leerlauf und wunderst dich, warum es nicht vorwärts geht.
Das ist Gift in einer sich extrem schnell veränderten Welt, in der wir genauso viel Zeit mit Umdenken verbringen müssen, wie wir Zeit mit Denken verbringen.
Geistige Beweglichkeit ist deshalb das Gebot der Stunde. Konstruktiver Zweifel ist ein geistiger Dauerauftrag.
Eine der besten Aussagen zum Thema geistige Beweglichkeit stammt von Karl Weick, dem emeritierten Professor für Organisationspsychologie an der University of Michigan:
„Argumentiere, als hättest du Recht, und höre zu, als würdest du falschliegen.“
@ Förster & Kreuz
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