Vor Kurzem traf ich eine weitentfernte Bekannte (ließ sich leider nicht vermeiden) vom Stamme „Es sind immer die anderen Schuld“. Wie üblich klagte sie nach kurzer Zeit über ihre Situation, ihren Job, ihren Partner und das Leben überhaupt und dass an all dem ja nichts zu ändern wäre, weil… 🤨
Vielleicht hast Du auch schon mal so jemanden getroffen.
Es sind immer die anderen schuld
Manche Menschen machen sich grundsätzlich zum Opfer. Der Umstände. Der Situation. Des Lebens. Das bedeutet, es sind immer die anderen schuld.
Ein Beispiel (betrifft Dich vermutlich nicht selbst, aber vielleicht jemanden, den Du kennst 😉):
Nur mal angenommen, jemand hätte sich im Januar vorgenommen, öfter Sport zu machen, um die drei Kilos von Weihnachten schnell wieder loszuwerden. Nennen wir diesen Jemand mal Simone.
Der Anfang läuft super. Direkt gegenüber ist ein Fitness-Studio, wo sich Simone gleich anmeldet. Zusammen mit anderen geht es ja sowieso immer leichter. Das erste Kilo purzelt, doch dann zieht das Fitness-Studio um. Leider so weit, dass es nur mit Auto zu erreichen ist. Erst bleibt Simone noch am Ball, doch nach und nach werden die Besuche im Fitness-Studio weniger. Joggen ist ja auch gut.
Das ist jetzt einige Wochen her und statt im Fitness-Studio oder beim Joggen findet man Simone abends wieder meistens auf der Coach beim Serienbingen und mit einer Tüte Chips in der Hand.
Danach befragt, warum der gute Vorsatz gescheitert sei, ist ihre Antwort glasklar: Natürlich, weil das Fitness-Studio umgezogen ist.
Sie kann schließlich nichts dafür, wenn die Anfahrt jetzt so lang ist, das Autofahren ist auch gar nicht gut für die Umwelt, und das Joggen ist eben einfach zu langweilig.
Hm. 🙄
Licht und Schatten
Hinter dem Gedanken, dass immer andere schuld sind, steckt das Grundprinzip der Projektion.
Projektion bedeutet kurzgefasst, dass ich das, was ich an mir selbst nicht gut finde (meinen Schatten), auf die Außenwelt projiziere (und mich oft intensiv darüber aufrege oder zumindest stark bewerte).
Warum tue ich das? Weil es in mir Verhaltensweisen und Gedanken gibt, für die ich mich schäme, die ich an mir selbst blöd finde, die ich nicht haben will und darum an mir meist nicht wahrnehmen kann. Und das projiziere ich nach außen auf etwas oder jemand anderen, um diese unangenehmen Gefühle in Bezug auf mich selbst loszuwerden.
Simone hätte wirklich gerne die drei Kilos abgespeckt. Aber ihr „Gemütlichkeitsanteil“, der lieber auf der Couch liegen und Chips futtern will, ist stärker. Dafür schämt sie sich (unbewusst). Und da Scham ein unangenehmes Gefühl ist, ist es besser, die Schuld auf das böse, umgezogene Fitness-Studio zu schieben.
Projektion erkennen
Woran erkenne ich (und auch Du) eine Projektion?
Ich rege mich über etwas fürchterlich auf.
(Es gibt noch andere Formen, aber das würde hier heute zu weit führen.)
Denk Dir eine Skala von Null bis Zehn. Null ist innerer Frieden, Zehn ist maximale Erregung. 😬
Wann immer Du Dich über etwas aufregst, was auf der Skala über die Fünf hinaus geht (und Dich womöglich noch länger beschäftigt), hat es auf jeden Fall auch mit einem Schatten in Dir zu tun.
Das sind die drei möglichen Gründe dafür:
👉 Du regst Dich auf, weil Du es unbewusst genauso machst.
👉 Du regst Dich auf, weil Du es „eigentlich“ auch gerne so machen würdest.
👉 Du regst Dich auf, weil Du genau das Gegenteil machst.
That’s it.
Die unbequeme Wahrheit
Es erfordert Mut, dem eigenen Schatten ins Auge zu sehen. Und manchmal ist auch etwas Detektivarbeit nötig, um herauszufinden, was genau Dich an der anderen Person oder Situation am allermeisten aufregt. Aber es lohnt sich. Denn Deine Belohnung ist innerer Frieden.
Die Zeit mit der Bekannten habe ich übrigens so kurz wie möglich gehalten und nachher tief aufgeatmet. Doch ich nehme solche Situationen gerne zum Anlass um für mich selbst zu prüfen, wo sich vielleicht auch bei mir wieder eine kleine Projektion eingeschlichen hat.
Am meisten gestört hat mich ihr ausuferndes Gejammer. Was hätte ich in der Zeit nicht alles arbeiten können. 💪
Doch genau das ist der Punkt, der mich hier „angelächelt“ hat:
Es ist dringend dran, mir auch wieder etwas Zeit und Raum für mich zu nehmen. Mache ich darum jetzt gleich, wenn ich diesen Text fertig geschrieben habe. 😇
Mit der Bekannten verbringe ich weiterhin so wenig Zeit wie möglich, denn sie ist und bleibt ein Energiefresser für mich. Doch gleichzeitig kann ich sie – nachdem ich meinen eigenen Anteil erkannt habe – viel besser sein lassen, wie sie ist. Ohne genervt zu sein.
Und Du, worüber regst Du Dich im Moment an anderen, der Welt, dem Leben am meisten auf?
Und was könnte das wohl irgendwie und ein winziges bisschen vielleicht eventuell auch mit Dir selbst zu tun haben? 🙃
@Angelika Gulder
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