Wer sich als Kind von seiner Mutter oder seinem Vater ungeliebt gefühlt hat, dem fällt es als Erwachsenem oft schwer, vertrauensvolle Liebesbeziehungen oder Freundschaften zu führen. Lassen sich die frühen Erfahrungen überschreiben?
Möchte Jakob mit seiner Mutter kuscheln, hat sie meist keine Zeit. Sucht er ihre Nähe, schickt sie ihn weg oder reagiert genervt. Jakobs Vater lebt in einer anderen Stadt und kommt immer seltener zu Besuch. Wenn er sich verabschiedet, weiß Jakob nicht, wann er ihn wiedersehen wird. Eine sichere Bindung zu seinen Eltern hat der Vierjährige deshalb nicht. Wie sich das auf seine Beziehungen auswirkt, wird sich jedoch erst Jahre später zeigen.
Wer in der Kindheit schlechte Erfahrungen wie der fiktive Jakob gemacht hat, spürt die Folgen oft ein Leben lang. Wird man von den Eltern häufig zurückgewiesen oder kann sich nicht auf sie verlassen, ist es wahrscheinlich, dass man sich später als Erwachsener in Partnerschaften ebenfalls abweisend und zurückhaltend oder ängstlich verhält. Denn in den ersten Lebensjahren entsteht das Fundament dafür, wie wir später die Welt und unsere Rolle darin verstehen. Doch nicht jeder, der als Kind von seinen Bezugspersonen abgelehnt wurde, führt als Erwachsener problematische Beziehungen. Woran liegt es, dass manche Menschen trotzdem glücklich werden?
Das Verhalten Erwachsener wird häufig mit frühkindlichem Erleben erklärt. Was aber meinen Psychologen, wenn sie in diesem Kontext von so genannten Bindungstypen sprechen? Die Bedeutung der ersten Lebensjahre erkannte bereits Sigmund Freud, der Anfang des 20. Jahrhunderts frühe Erfahrungen zu einem Grundpfeiler seiner Psychoanalyse machte. Seine Überlegungen führten zur Annahme, dass das Verhältnis zu nahestehenden Menschen wie der Mutter bestimmt, welche Beziehungen ein Kind später zu sich selbst und anderen aufbaut. Fühlen wir uns angenommen und geliebt? Oder machen wir uns Sorgen, wir könnten anderen nicht gefallen?
Die Bindungstheorie entstand einige Jahrzehnte nach Freuds Überlegungen. Auch John Bowlby war davon überzeugt, dass die Kindheit die Persönlichkeit prägt. Der britische Kinderarzt und -psychiater erweiterte die psychoanalytischen Ansätze, indem er Erkenntnisse aus Evolutionsbiologie und Systemtheorie einfließen ließ. Ihm zufolge entwickeln Kinder auf der Grundlage des Verhaltens einer Bezugsperson – das ist in der Regel die Mutter – so genannte Arbeitsmodelle, die vergangene Bindungserlebnisse speichern und Vorhersagen über künftige Erfahrungen erlauben. Nimmt ein Kind die Beziehung zur Mutter als Geborgenheit spendend wahr, fördert das Bowlby zufolge einen sicheren Bindungsstil: Es lernt, dass andere Menschen Schutz bieten können – ein wesentlicher Bestandteil einer ernsthaften, langfristigen Partnerschaft. Nimmt die Mutter jedoch keine Rücksicht auf die kindlichen Bedürfnisse und spendet weder Halt noch Trost, führt das zu einer unsicheren Bindung, die das weitere Leben prägt.
Allein mit einer fremden Person
Mary Ainsworth hat Bowlbys Annahmen empirisch überprüft. Zu diesem Zweck entwickelte die US-amerikanisch-kanadische Entwicklungspsychologin den »Strange Situation«-Test, zu Deutsch »Fremde-Situations-Test«. Sie beobachtete, wie sich Mädchen und Jungen zwischen 12 und 18 Monaten verhalten, wenn ihre Mutter aus dem Raum geht, sie dort mit einer fremden Person allein lässt und nach kurzer Zeit zurückkehrt. Ainsworth stellte fest, dass sich die Kinder in einen sicheren und zwei unsichere Bindungstypen unterteilen lassen: den vermeidenden und den ambivalenten Typ. Während sicher gebundene Kinder bei der Rückkehr der Mutter deren Nähe suchen, ignorieren Kinder mit vermeidendem Bindungsstil sie. Ambivalent gebundene Kinder hingegen sind hin- und hergerissen zwischen Ärger und dem Wunsch nach Nähe.
Die Anfang 2023 verstorbene US-Amerikanerin Mary Main sowie Judith Solomon, die sich im Child First Program des Bridgeport Hospital in Connecticut um traumatisierte Kinder kümmert, fügten 1986 noch den unsicher-desorganisierten Bindungsstil hinzu: Diese Kinder erstarren in dem Test und sind überfordert. Grund dafür kann eine Traumatisierung durch Misshandlung oder starke Vernachlässigung sein.
Die verschiedenen Reaktionen wurzeln den Psychologinnen zufolge im Verhalten der Eltern, die in den ersten Lebensmonaten des Kindes entweder auf seine Bedürfnisse eingegangen sind oder nicht. Diese Bindungsstile finden sich auch bei Erwachsenen. »Personen mit unsicher-ambivalentem Bindungsstil verursachen oft dramatische Szenen, um ihren Partner zu erreichen«, erklärt Christian Roesler, Psychotherapeut und Klinischer Psychologe an der Katholischen Hochschule Freiburg. Unsicher-vermeidende Menschen dagegen hätten zwar ein Liebesbedürfnis, gingen aber davon aus, dass andere darauf nicht reagieren. Und desorganisiert gebundene Erwachsene würden oft gar nicht glauben, jemand könne sie lieben.
Unsichere Bindungsstile sind recht häufig: 2014 ergab eine von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Sutton Trust in Auftrag gegebene Studie, dass rund jedes vierte Kind nicht sicher gebunden ist. Cindy Hazan von der Cornell University (New York) und dem inzwischen emeritierten Phillip Shaver zufolge kommen sie sogar bei mehr als 40 Prozent aller Erwachsenen vor. Für das Verhalten Erwachsener wurden eigene Bindungsstile definiert (siehe »Bindungstypen bei Erwachsenen«).
Mittlerweile sind zahlreiche elterliche Einflussfaktoren bekannt. Sensitivität etwa begünstigt einen sicheren Bindungsstil: Feinfühlige Bezugspersonen spüren die Bedürfnisse des Kindes und können ihm je nach Umständen Sicherheit oder Freiheit geben, ohne es zu überfordern. Negativ wirkt es sich hingegen aus, wenn das Kind immer wieder abgewiesen wird. Dadurch lernt es, dass beispielsweise sein Wunsch nach Nähe nicht erwidert wird, was den Selbstwert und das Selbstbild stark beeinträchtigen kann.
Bindungstypen bei Erwachsenen
Carol George, Nancy Kaplan und Mary Main entwickelten im Jahr 1985 das Adult Attachment Interview (AAI), um Bindungstypen bei Erwachsenen zu untersuchen. In dem Interview beantworten die Probanden und Probandinnen 18 Fragen, etwa zu ihrer Kindheit und Erziehung, zu früheren und aktuellen Bindungserfahrungen sowie ihren Beziehungen zu (hypothetischen) eigenen Kindern. Daraus ergeben sich ein sicherer und drei unsichere Bindungstypen: distanziert, verwickelt und unverarbeitet.
Personen mit sicherer Bindung haben einen realistischen Zugang zu ihren Kindheitserinnerungen, können ihre Bedürfnisse offen kommunizieren und verhalten sich empathisch und autonom. Wer hingegen eine distanzierte Bindung hat, verfügt nur über eingeschränkten Zugang zu Kindheitserinnerungen und verhält sich als Erwachsener emotional verschlossen. Personen mit verwickelter Bindung wiederum berichten von ihrer Kindheit vage und widersprüchlich. Sie können ihre negativen Emotionen schlecht regulieren und reagieren bei Ablehnung mit einem erhöhten Bindungsbedürfnis. Menschen mit unverarbeitetem Bindungsstil haben in der Kindheit Traumata erlebt und berichten davon unzusammenhängend in der Gegenwart. Nur sehr wenige Personen – etwa zwei Prozent – sind nicht klassifizierbar.
Reiner, I. C. et al: Das Adult Attachment Interview – Grundlagen, Anwendung und Einsatzmöglichkeiten im klinischen Alltag. Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie 59, 2013
John Bowlbys ursprüngliche Version der Bindungstheorie wird jedoch teilweise kritisiert, da er das Verhalten der Mutter als prägend ansah. Auch Ainsworth fokussierte sich auf mütterliche Einflüsse, räumte in einem Aufsatz von 1989 als 76-Jährige allerdings ein, dass sie den Begriff »Mutterfigur« stellvertretend für die primäre Bezugsperson verwendet. Inzwischen weiß man: Väter, Großeltern und andere nahestehende Menschen können ein Kind genauso stark prägen.
Dennoch ist Bowlbys Bindungstheorie bis heute in der Forschung präsent. Fachleute gehen mittlerweile aber seltener von festen Kategorien aus, obwohl sich viele Menschen in diesen durchaus wiedererkennen, erklärt die Psychologin Eva Neumann, die an der Universität Düsseldorf zu verschiedenen Formen der Bindung forscht. »Um differenzierter zu messen, schauen wir uns Bindung auf einem Kontinuum mit den Dimensionen Angst und Vermeidung an.« Menschen mit Bindungsangst, so Neumann, beschäftigen sich intensiv mit Beziehungsfragen, sind ängstlich und besorgt. Bindungsvermeidung erkenne man vor allem an einem starken Beharren auf Autonomie. In diesen Dimensionen finden sich die klassischen Bindungsstile teilweise wieder: schwache Ausprägung von Vermeidung und Angst entsprechen dem sicheren Bindungsstil, hohe einem unsicheren.
Ein unsicherer Bindungsstil ist keine psychische Störung. Trotzdem hängt beides zusammen. »Auf die mentale Gesundheit hat die Art der Bindung einen mittleren bis starken Effekt«, sagt Neumann. »Wer in der Kindheit ungünstige Beziehungserfahrungen gemacht hat, hat später ein erhöhtes Risiko für psychische Störungen.« Gut belegt sei das für Depressionen und Angststörungen, man finde diesen Zusammenhang aber auch bei Persönlichkeitsstörungen und Schizophrenie.
Bindungsstile sind in verschiedenen sozialen Kontakten präsent, etwa Freundschaften. So zeigte die Psychologin Barbara Weimer von der University of Mount Union in Ohio, dass der Bindungstyp mit dem Grad an Intimität in jugendlichen Freundschaften zusammenhängt: Zwei sicher gebundene Freunde sind sich besonders nahe. Am deutlichsten offenbaren sich Bindungsstile jedoch meist in Liebesbeziehungen. Das liegt daran, dass die Partnerin oder der Partner für viele Menschen eine sehr enge Bezugsperson darstellt, mit der sie sehr viel Zeit verbringen.
Eine niederländische Überblicksarbeit eines Teams um Marije Verhage von der Freien Universität Amsterdam ergab 2016, dass Bindungsstile von Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden können. Die Forscher und Forscherinnen werteten 78 Studien mit insgesamt mehr als 4000 Versuchspersonen aus. Das Ergebnis: Vor allem sichere Bindungsstile wurden übertragen – doch auch bei unsicheren gab es Effekte.
Ängstlich in der Liebe, geborgen bei Freunden
Die Bezugspersonen legen den Bindungsstil eines Menschen aber nicht unwiderruflich fest. Zudem kann man in unterschiedlichen Beziehungen verschiedene Bindungsstile innehaben. Wer etwa eine unsichere Bindung zu den Eltern hat, kann eine sichere Bindung zur Partnerin aufbauen. Und wer in Liebesbeziehungen ängstlich ist, kann sich bei Freunden geborgen fühlen.
Eva Neumann befragte in ihrer Dissertation mehr als 100 Frauen und Männer retrospektiv zu deren Beziehungen zu den Eltern und erhob Daten über den aktuellen Bindungsstil. Dabei zeigte sich kein signifikanter Zusammenhang zwischen der Bindung im Kindes- und der im Erwachsenenalter. Allerdings führten Versuchspersonen, die das Gefühl hatten, von ihrer Mutter geliebt worden zu sein, und ihre kindlichen Gefühle wie den Wunsch nach Nähe offen artikulieren konnten, unterm Strich glücklichere Beziehungen. Der kindliche Bindungsstil, folgert Neumann, wird nicht unverändert auf spätere Liebesbeziehungen übertragen. In einer noch unveröffentlichten Studie beobachtete Neumann ebenfalls einen geringen Effekt von Bindungsstilen auf die Partnerschaftsqualität. Und ein Forschungsteam um den amerikanischen Psychologen Everett Waters von der Stony Brook University in New York kommt zu dem Schluss, dass Bindung im Erwachsenenalter zwar eine relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft ist, sich unter bestimmten Umständen aber verändern kann. Dazu zählen vor allem einschneidende Lebensereignisse.
Die Psychologen Lee Kirkpatrick vom College of William & Mary in Virginia und Cindy Hazan untersuchten bereits ab 1994 mehr als 170 Probanden vier Jahre lang in regelmäßigen Abständen zu deren Bindungsstil und Beziehungsstatus. Bei etwa 70 Prozent der Befragten änderte sich der Bindungstyp während dieser Zeit nicht. Wer jedoch zunächst sicher gebunden war und sich im Verlauf der Studie trennte, zeigte daraufhin eher einen unsicheren Bindungsstil. Und Versuchspersonen, die die Studie mit einer vermeidenden Bindung begonnen hatten und im Verlauf eine neue Beziehung eingegangen waren, verhielten sich in dieser unterm Strich weniger vermeidend als jene, die nach der Trennung allein blieben.
»Selbst unsicher gebundene Personen können stabile Bindungen eingehen«Christian Roesler, Bindungsforscher
Lebensereignisse können sich unterschiedlich lange auswirken, wie eine US-amerikanische Studie um Chris Fraley von der University of Illinois aus dem Jahr 2021 ergab. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass manche Menschen etwa nach einem Streit mit dem Partner für kurze Zeit mit erhöhter Bindungsangst reagierten. Der Verlust einer geliebten Person hingegen machte manche für viele Jahre ängstlich. Die Folgen solcher Geschehnisse sind individuell sehr verschieden, betonen die Autoren. Das hängt unter anderem von der Beziehungsqualität ab: Über eine Meinungsverschiedenheit kann man lachen oder sie als Bedrohung empfinden.
Auch dem Bindungsforscher Christian Roesler zufolge sind frühkindliche Erfahrungen nicht allein für die spätere Beziehungsfähigkeit verantwortlich: »Selbst unsicher gebundene Personen können stabile Bindungen eingehen. Denn Bindungsstile sind für die Beziehungsqualität zwar relevant, aber sie sind nicht die einzige Variable«, sagt er. Wichtig sei beispielsweise, ob man als Kind die Trennung der Eltern miterlebt habe oder diese ihre Ehekrise gemeinsam überwunden hätten oder welche Bedeutung man romantischen Beziehungen beimisst. »Die gute Nachricht ist: Das Bindungssystem bleibt ein Leben lang offen.« Vor allem durch eine gut funktionierende Beziehung lasse sich ein in der Kindheit erlernter Bindungsstil positiv beeinflussen. Unsicheres Bindungsverhalten bleibe aber häufig erhalten, weil man sich tendenziell einen Partner suche, der dieses aufrechterhält.
Vor allem Menschen mit desorganisiertem Bindungsstil fällt es schwer, positive Erfahrungen zu sammeln. Ihr Bindungssystem ist durch traumatische Erfahrungen oft so stark beschädigt, dass nur eine Einzeltherapie hilft, sagt Roesler. Hier müsse erst einmal die Persönlichkeit stabilisiert werden. Bei den meisten Menschen können jedoch stabile Beziehungen in der Kindheit gelernte Muster überschreiben. Wertvoll, wichtig und liebenswert
Wertvoll, wichtig und liebenswert
Auch Guy Bodenmann, klinischer Psychologe an der Universität Zürich, ist sich sicher, dass neue Beziehungen den Bindungsstil verbessern können. Dafür müsse eine Partnerschaft allerdings eine gewisse Tiefe haben: »Es braucht eine langjährige Erfahrung einer verlässlichen, tragfähigen Bindung, die einem das Gefühl gibt, wertvoll, wichtig und liebenswert zu sein.« Neben Liebesbeziehungen bieten auch Freundschaften solche Erfahrungen.
Aktueller Forschung zufolge lässt sich der Bindungsstil auch aus eigenem Antrieb verändern. In einer Studie von 2020 begleitete ein amerikanisches Forschungsteam um den Psychologen Nathan Hudson von der Southern Methodist University in Dallas mehr als 100 Versuchspersonen über einen Zeitraum von vier Monaten. Zu Beginn der Erhebung wurden ihre Bindungsstile sowie Veränderungswünsche erhoben. Dabei zeigte sich, dass die Ziele der Probanden eine Veränderung des Bindungsstils vorhersagten: Diejenigen, die weniger ängstlich werden wollten, verringerten ihre Bindungsangst, und die, die weniger vermeidend sein wollten, hatten nach vier Wochen eine geringere Vermeidungshaltung. Wer sich also verändern will und sich dementsprechend verhält, kann einiges bewirken.
Dabei helfen konkrete Strategien. Man kann zum Beispiel Erinnerungen an Momente wachrufen, in denen man sich bei anderen Menschen geborgen gefühlt hat. In einer Studie von 2018 von Nathan Hudson und Chris Fraley zeigten Probanden, die über einen Zeitraum von vier Monaten jede Woche über sicherheitsfördernde Beziehungserinnerungen nachdachten, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe tendenziell geringere Bindungsangst.
Ereignisse neu bewerten
Hudson und Fraley zufolge kann es ebenfalls sinnvoll sein, vergangene, negativ bewertete Beziehungsereignisse in einem positiveren Licht zu betrachten. Wer sich schuldig fühlt, etwa nach einem eskalierten Streit, der aber zu einer erfolgreichen Paartherapie führte, kann sich bewusst machen, dass diese Entwicklung letztlich die Beziehung rettete. Interessanterweise hat den beiden Forschern zufolge bereits das Nachdenken über unangenehme Ereignisse positive Auswirkungen auf die Bindungssicherheit – ein Hinweis darauf, dass eine bewusste Verarbeitung der eigenen Erfahrungen und Emotionen wichtig ist. Wer diese Strategien womöglich schon von sich aus häufiger anwendet, kommt vermutlich auch mit schlechten Bindungserfahrungen besser zurecht.
Wem es zu schwer fällt, selbst Veränderungen herbeizuführen, findet in der Psychotherapie Hilfe. Das kann besonders sinnvoll sein, wenn negative Erfahrungen tief sitzen und das eigene Denken, Fühlen und Handeln schon lange und nachhaltig beeinflussen. Sowohl psychodynamisch als auch verhaltenstherapeutisch orientierte Verfahren setzen an frühen Erfahrungen an, um die Bindungsfähigkeit im Erwachsenenalter zu verbessern.
In der Psychotherapie, erklärt der Verhaltenstherapeut Guy Bodenmann, versuche man, den Selbstwert zu stärken und negative Schemata von sich und der Umwelt zu verändern. Allerdings müsse man Geduld mitbringen: »Eine Person, die überzeugt ist, dass sie nicht liebenswert ist, dazu zu bringen, sich so anzunehmen, wie sie ist, benötigt viel Zeit.« In der psychodynamisch orientierten Einzeltherapie, sagt Christian Roesler, biete er als Psychotherapeut sich als sichere Bezugsperson an, um ein korrigierendes Bindungserlebnis zu bewirken: »Ich versuche, die Signale und Bedürfnisse meiner Klienten möglichst feinfühlig zu beantworten und aufzunehmen.« In der Paartherapie sei sein Ziel, dass sich seine Klienten mit ihren unverstellten Bindungsbedürfnissen aneinander wenden.
Ob Jakob durch seine schlechten Bindungserfahrungen später Angst vor Nähe hat und sich in Beziehungen abweisend verhält oder ob er trotzdem glücklich wird, hängt also von vielen Faktoren ab: Zeigen ihm spätere Beziehungen, dass er doch liebenswert ist? Gelingt es ihm, negative Erlebnisse zu durchdenken? Sucht er sich, wenn nötig, psychotherapeutische Hilfe? Wer als Kind keine gute Bindung zu seinen Eltern hatte, muss den Mut nicht verlieren. Ob durch korrigierende Beziehungserfahrungen, bewusstes Reflektieren oder professionelle Hilfe – unsere Bindungsstile lassen sich ein Leben lang verändern.
@Sarah Koldehoff / Spektrum.de
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