Ängste kann man überwinden.
Aber das Wort sagt es schon:
“Überwinden”.
Es ist ein Kampf, den wir führen – in jedem Moment, in dem wir die Angst durchdringen und an ihrem anderen Ende wieder herauskommen.
Das Überwinden von Angst ist also per Definition immer anstrengend. Sonst würde es ja jeder tun. Und sonst wäre es auch keine Angst.
Denn der Überlebensmechanismus namens “Angst” ist dafür da, um uns davon abzuhalten, etwas zu tun – denn er will unser Überleben sichern.
Natürlich wissen wir heute, dass die meisten Ängste uns nicht mehr wirklich vor dem Tode bewahren.
Hinter den meisten Ängsten von uns modernen Menschen wartet ein leichteres, gesünderes, besseres Leben auf uns.
Die Angst vor Zurückweisung, die Angst vorm Ehrlichsein, die Angst vor Spinnen, die Angst vor der Dunkelheit, die Angst vor Verlust des Jobs oder davor, einsam zu sterben und nie die Liebe fürs Leben zu finden.
Die meisten Ängste und Phobien sind heute unnütz. Im Gegenteil: Sie halten unseren Mangelzustand sogar eher am Leben, da wir aus dem Schneckenhaus unseres momentanen Horizonts nie herauskommen.
Was aber tun wir, wenn wir es einfach nicht schaffen?
Denn im Kopf ist es ja logisch. Angst wird eigentlich nicht gebraucht und danach wird das Leben vielleicht nicht perfekt, aber höchstwahrscheinlich sehr viel besser – also weg damit.
Aber was ist, wenn wir im Moment der Angst die Kraft zur Überwindung nicht aufbringen können?
Wenn wir unsere Herzensprojekte ewig aufschieben?
Wenn wir diese schwierigen Gespräche ewig aufschieben, während wir weiter leiden?
Wenn wir unserer Phobie nicht begegnen, obwohl wir wissen, dass wir da durchmüssen, wenn wir ein Leben führen wollen, in dem es uns auch gut gehen kann?
Es gibt jede Menge Herangehensweisen an die Angst als solche. Strategien zum Bewältigen der Angst, Techniken zur Soforthilfe.
Doch heute möchte ich ein oft vergessenen Puzzlestück mit dir teilen.
Ängste überwindet man am besten…
…indem man Ängste überwindet.
Ha ha – Okay, neu formuliert:
Ängste überwindet man am besten…
…indem man ANDERE Ängste überwindet.
Die Angst davor, deinen großen Dämonen zu begegnen, besiegst du am besten, wenn du dich zuerst den kleinen Dämonen in deinem Leben widmest.
Die Fähigkeit, Mut zu beweisen, ist allgemeingültig.
Wer mutig ist, kann Ängste überwinden.
Wer nur mutig ist, wenn es um finanzielle Risiken geht, aber nicht wenn es ums authentische Öffnen in Beziehungen geht, der ist nicht wirklich mutig.
Wer nur in seinem Spezialgebiet mutig ist, aber nicht auch in Bereichen, die für ihn schwer sind, den nenne ich persönlich keinen “mutigen Menschen”.
Aber Mut ist nicht angeboren, sondern antrainiert. Und das kann man jederzeit nachholen.
Fang klein an.
Anstatt die Welt aufräumen zu wollen, räum erstmal dein Schlafzimmer auf.
Anstatt die Ängste überwinden zu wollen, die dein Leben ruinieren, überwinde erstmal die Ängste, die nur einen kleinen Einfluss auf dein Leben haben.
Diese “kleinen Ängste” nenne ich einfach “Hürden”.
Wie willst du deine Angst davor überwinden, deiner Partnerin von deiner Überforderung zu erzählen, wenn du diese Überforderung selbst noch nie bewusst gefühlt hast? So richtig mit Stille und Achtsamkeit und Atmen?
Wie willst du mit deinem Partner Dinge besprechen, die dich verletzt haben, wenn du selbst in platonischen Freundschaften noch nie gesagt hast “Bitte Stopp, das mag ich nicht” ?
Wie willst du deine Angst davor überwinden, große Bausteine deines Lebens loszulassen, wenn du nicht einmal den Salzstangen kurz nach dem Zähneputzen widerstehen kannst?
Wie willst du deine Angst überwinden, deinen Chef um eine Gehaltserhöhung zu bitten, wenn du dir selbst nicht mal erlaubst, dich gut zu fühlen, sondern jede lebendige Gefühlsregung sofort mit Ablenkungen beiseite schiebst?
Wie willst du deine Angst vor engen Räumen oder größeren Menschenansammlungen überwinden, wenn du dich noch nicht einmal dem Unwohlsein gestellt hast, das hochkommt, wenn du mal für 20 Minuten nichts tust und alleine einfach nur dasitzt?
Fang klein an.
Räume erst einmal dein Zimmer auf, bevor du an deinem Garten was verändern möchtest.
Und wenn das Zimmer momentan zu groß ist, dann fang mit dem Kleiderschrank an.
Und wenn der Schrank momentan zu groß ist, fang mit der kleinen Kommode an.
Und wenn selbst diese gerade noch zu schwer erscheint, dann fang mit der eigenen Körperpflege an.
Große Schritte erscheinen immer einfacher, nachdem sie gemacht wurden.
Die Vorbereitung sprechen aber die wenigsten an.
Wenn du eine harte seelische Phase hast, in der du nichts mehr gebacken kriegst, dann fange damit an.
Für den Tag nur 5 Minuten der Aufgabe, die ich eigentlich gerne 5 Stunden am Stück machen würde.
Nur die Kanten meines Bartes rasieren, anstatt komplette Körperpflege zu machen.
Eine Runde in meinem Viertel gehen, anstatt 1 Stunde Sport zu machen.
Ich erschaffe mir kleine Beweise dafür, dass ich DOCH etwas gebacken kriege.
Dass ich DOCH etwas wert bin.
Dass das Leben DOCH weiter geht.
Ohne diese kleinen Schritte passiert nichts.
Doch diese kleinen Schritte summieren sich.
Über Stunden oder über Tage. Völlig egal.
Irgendwann ist wieder Kraft da, die größeren Dinge anzupacken.
Wie siehts aus?
Welchen kleinen Schritt kannst du heute noch in Richtung deiner Kraft zur Überwindung machen? Welche kleine Hürde darf heute genommen werden?
@Arne Tempel
Fotonachweis: unsplash.com / @M.T ElGassier