Bei Achtsamkeit geht es in erster Linie um die Konzentration auf die unmittelbare Gegenwart. Achtsamkeitstraining ist das Bemühen, den Empfindungen im gegenwärtigen Moment mit möglichst großer Aufmerksamkeit und Offenheit zu begegnen. Das klingt zunächst einfach. Doch gerade in der Hektik des Alltags vergessen wir oft, im Hier und Jetzt zu leben und widmen uns stattdessen gestresst unseren Zukunftsplänen oder verlieren uns in Grübeleien über Vergangenes.
Wer jedoch lernt regelmäßig seine Aufmerksamkeit auf das Hier und Jetzt zu lenken, verändert langfristig die „Architektur seines Gehirns“. Das menschliche Gehirn ist ein Trainingsorgan, ähnlich einem Muskel. Was das Krafttraining für den Muskel ist, ist die Aufmerksamkeit für das Gehirn.
Sara Lazar, US Forscherin stellte bei Probanden, die über einen längeren Zeitraum Achtsamkeitsmeditationen durchführten fest, dass deren Hirnrinde bis zu fünf Prozent dicker ist als die nicht meditierender Vergleichspersonen. Zudem wiesen sie wesentlich mehr neuronale Verschaltungen auf.
Achtsamkeitsübungen lassen uns souveräner mit Emotionen umgehen, das Köperempfinden wird sensibler und so fördern sie nachweislich die seelische Gesundheit. Zusätzlich wird unser Immunsystem gestärkt und unsere Konzentrationsfähigkeit gesteigert, wie Studien der Universität Gießen und Forschungen aus den USA aufzeigen.
Diesen Studien zufolge kann Achtsamkeitstraining und Meditation bei der Behandlung von Angstsymptomen, chronischem Stress und Schmerzen helfen. „Bei Depressionen verringerte sich die Rückfallquote um bis zu 50 Prozent“, berichtet Psychologe Ulrich Ott, führender Meditationsforscher in Deutschland der Universität Gießen.
Achtsamkeit in der Arbeitswelt
Seelische Leiden wie Stress, Depressionen und Angstzustände sind das zweitgrößte Gesundheitsproblem von Arbeitnehmern in Deutschland. Sechzig Prozent der Deutschen fühlen sich gestresst. Das ist das Ergebnis einer Studie des Forsa-Instituts für Sozialforschung. Nicht selten ist die Belastung von den Betroffenen selbst geschaffen. Wichtigster Stressfaktor sind die Anforderungen im Beruf, direkt danach folgt der eigene Anspruch.
Hier können Achtsamkeitsübungen eine innere Entschleunigung bewirken und den Raum für mehr Freude an der Arbeit, Sinnhaftigkeit und konstruktiver Zusammenarbeit öffnen. Insgesamt wird der Stresspegel und die Burnout-Gefährdung reduziert, so Niko Kohls von der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität.
Wieso sind regelmäßige Achtsamkeitsübungen so wirksam?
Der Mensch reagiert in der Regel unmittelbar auf einen Reiz. Achtsamkeit schiebt sich wie ein Puffer zwischen Reiz und Reaktion. Die dadurch entstehende Lücke kann helfen, eingefahrene Reaktionsmuster aufzulockern und schließlich zu verändern. Wir können dann als bewusste Wesen angemessen auf eine Situation reagieren.
Im Hier und Jetzt zu sein ist in unserer Kultur nicht selbstverständlich. Unser Alltag ist oft eng getaktet, durch To-Do Listen und Termine strukturiert und als vermeintliche Entspannung wird Zerstreuung vor dem Fernseher gesucht. Um aus dieser Alltagstrance herauszukommen bedarf es regelmäßiger Übungen. Doch es lohnt sich.
Achtsamkeitsübungen für den Alltag
Morgens
Die ersten Minuten nach dem Aufwachen noch einige Minuten mit offenen Augen liegenbleiben oder sich an die Bettkante setzen. Sich des Wachseins bewusst werden; in die Atmung und in den Körper hinein spüren und sich darauf zu besinnen, den Erfahrungen des Tages mit Achtsamkeit zu begegnen.
Tagsüber
Gewöhnliche Verrichtungen des Alltags mit Achtsamkeit durchführen und genießen: Möglichkeiten: Duschen, Zähneputzen, Geschirrspülen, Haarewaschen, Anziehen, Autofahren, Gehen, Aufstehen, Hinsetzen, Essenkochen, Gartenarbeit etc.
Innehalten
Zwischendurch im Alltag immer wieder einmal innehalten und den gegenwärtigen Moment bewusst wahrnehmen.
Minuten-Achtsamkeit
Drei Mal am Tag eine Minute achtsam sein.
Reminder nutzen
Geräusche als Erinnerung der Achtsamkeit nutzen, zum Beispiel Telefonklingeln, Kirchenglocken, Sirenen, Autohupen. Oder Wecker stellen.
Körper nutzen
Im Laufe des Tages immer wieder einmal in den Körper hineinspüren.
(Verspannungen, Wohlsein, Unwohlsein, Wärme, Kälte?).
Atem nutzen
Im Laufe des Tages immer wieder einmal mit dem Atem verbinden und seine Qualität erspüren.
Wartesituationen nutzen
Rote Ampeln, Supermarktkasse, Arzt- oder Behördenbesuch, Warten auf das Essen im Restaurant.
Essen als Übungsfeld
Essen und Trinken in voller Achtsamkeit durchführen.. Zum Beispiel einen Müsliriegel oder einen Apfel achtsam essen.
Abends
Vor dem Einschlafen noch einmal reflektieren, wo es tagsüber gelungen war, achtsam zu sein. Wo wäre noch mehr Achtsamkeit möglich gewesen? Wo ist man zufrieden mit sich selbst gewesen?
Achtsamkeit ist eine Ressource, die in Deutschland viel zu wenig genutzt wird. Sie hilft sich zu regenerieren und seelische Ausgeglichenheit zu finden. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen helfen das Leben mit mehr Wohlwollen, Liebe und Humor zu betrachten.
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