Paarbeziehungen zwischen Bindungs- und Verlustangst
In jeder Beziehung ist vertrauen wichtig, aber ganz besonders für Paare. Hier öffnen wir uns ganz und sind sehr verletzlich. Wenn das Vertrauen in einer Liebesbeziehung enttäuscht wurde, fällt es oft sehr schwer, sich wieder auf einen neuen Partner einzulassen. Ich spreche mit dem spirituellen Lehrer, Coach und Heiler Steffen Lohrer über seine persönlichen Erfahrungen und seinen Blickwinkel aus spiritueller Sicht.
Interview mit Steffen Lohrer
Du bist seit fast 25 Jahren mit deiner Partnerin zusammen und immer noch glücklich. In dieser Zeit habt ihr euch beide sicherlich weiterentwickelt, bestimmt nicht immer parallel. Wie habt ihr es geschafft, das Vertrauen in die Beziehung zu erhalten?
Es ist für mich in einer Partnerschaft wichtig, dass jeder auch eigene Interessen hat, die Wege sich manchmal ein bisschen voneinander entfernen, dann aber wieder zusammenkommen. Durch diesen Wechsel aus individuellen Freiräumen und auch wieder gemeinsamen Wegen kann die Beziehung atmen. Man darf sich dabei nicht ganz aus den Augen verlieren, sondern muss auch mal Kompromisse machen und gemeinsame Projekte finden wie z. B. eine gemeinsame Reise zu machen, einen Tanzkurs zu besuchen oder ähnliche Literatur zu lesen. So kann man sich wieder annähern. Für viele sind Kinder ein gemeinsames Projekt, das für einige Zeit eng zusammenschweißt.
Es heißt, wenn man anfängt an einer Beziehung zu zweifeln, ist irgendwo ein Herzwinkelchen kalt geworden. Wie kommt es zu dem Zweifeln, dem Verlust des Vertrauens in die Beziehung?
Der Zweifel fängt an, wenn der andere nicht genau meinen Erwartungen entspricht. Wir bauen alle sehr hohe Erwartungen an einen Traumpartner auf wie wir es im Fernsehen vorgespielt bekommen. Aber das sind alles Illusionen. Wenn ich an einer Erwartung festhalte, gibt es schnell auch eine Enttäuschung. Bei Problemen ist der einzige Weg, dass man versucht, den anderen als Spiegel zu sehen. Und sich fragt, warum hat mich das gerade richtig aufgeregt? Kenne ich das? Gibt es Parallelen dazu aus meiner Vergangenheit, aus meiner Kindheit? In meinem Leben habe ich dann immer auch eine Baustelle bei mir gefunden, obwohl der erste Gedanke war, dass meine Partnerin doch etwas falsch gemacht hat und anders sein müsste.
In den Lockdown-Zeiten mit Homeoffice und ggf. den Kindern zu Hause wurden Beziehungen oft auf die Probe gestellt. Was hilft, um zusammen zu bleiben?
Wenn man sich ständig auf der Pelle hängt, entsteht ein großes Konfliktpotential. Umso wichtiger ist die Kommunikation. Wenn ich nicht gewaltfrei kommuniziere, also von mir und meinen Bedürfnissen und Emotionen rede, gibt es nur noch gegenseitige Vorwürfe. Wenn ich aber zuerst schaue, was die Bedürfnisse des anderen sind, die gerade nicht gesehen werden, und was meine eigenen Bedürfnisse sind, die bei mir nicht gesehen werden, und dies gegenseitig austausche, bereinigt sich der Konflikt oft recht schnell und man kann wieder zusammenkommen. Wenn ich nicht darüber spreche, stauen sich die Emotionen immer mehr auf und irgendwann platzt die Bombe.
Manchmal kommt die Frage wieder und wieder: Ist er oder sie der/die Richtige? Können wir noch zusammenbleiben oder sind wir zu unterschiedlich?
Wenn die Basis fehlt, weil es über das Herz keine liebevolle Verbindung gibt, oder wenn es zu wenig gemeinsame Projekte gibt, stellt sich tatsächlich die Frage, ob die Beziehung auf Dauer passt. Und dann ist es mehr als recht, dass man eine Beziehung vorzeitig beendet. Man muss nicht bis zum Greisenalter zusammenbleiben, nur weil es in der spirituellen Philosophie heißt, dass der andere ein Spiegel ist und wir nur bei uns selbst schauen sollten. Wenn es mir nicht guttut und eine Beziehung nicht heilsam ist, kann ich sie auch beenden. Aber ich sollte es sehr bewusst machen und nicht aus dem verletzten, inneren Kind heraus. Erst mal nach innen schauen, eigene Arbeit machen, kommunizieren und wenn sich nach einiger Zeit gar nichts bewegt, kann ich auch Konsequenzen ziehen.
Es gibt so viele Menschen, die Single bleiben oder auch in Beziehungen sind, aber sich nicht trauen, sich wirklich einzulassen. Woher kommt diese Bindungsangst?
Das basiert oft auf der Kindheit, in der jeder von uns, oftmals mit dem gegengeschlechtlichen Elternteil, auch Erfahrungen gemacht hat, die schmerzhaft waren. Als Mann hatte man vielleicht mit seiner Mutter Auseinandersetzungen, sie war vielleicht zu kritisch oder übergriffig. Das projiziert man als Mann dann auf jede andere Frau, die man in seinem Leben trifft. Wenn es eine einfache Freundschaft ist, werden die Triggerpunkte nicht so berührt, aber wenn es zu einer intimen Beziehung wird, in der ich mein Herz öffne, sind wir für jede Kleinigkeit verwundbar, die von der anderen Seite nicht unsere Bedürfnisse und Erwartungen erfüllt. Dann verschließen wir uns wieder. Wenn der Schmerz zu heftig war, gehe ich in jede neue Beziehung mit dieser Last und habe im Unterbewusstsein schon immer ein negatives Gefühl, eine Angst, dass mir wieder dasselbe passiert: dass ich verletzt werde, wenn ich mein Herz öffne. Ich entscheide mich, meistens unterbewusst, nicht alles zu geben und mein Herz verschlossen zu lassen. Ich bleibe im Verstand, kann nicht authentisch sein, nicht verletzlich sein, weil ich mich selbst immer noch schützen muss. Das ist keine gute Voraussetzung für eine vertrauensvolle Beziehung.
Ganz besonders kritisch wird es, wenn Menschen, die ein gegenseitiges Extrem erlebt haben, aufeinandertreffen. Also wenn einer Bindungsangst hat und der andere Verlustangst.
Ja genau. Wenn die Frau z. B. als Kind erlebt hat, dass der Vater nie da war, viel gearbeitet hat, sie zu wenig Liebe bekommen hat oder es eine Scheidung gab, ist der Wunsch später da, dass der Partner sich kümmert und präsent ist. Wenn der Partner ähnlich wie der Vater ist, und meistens zieht man ja genau diese Männer an, beginnt das kleine, innere Kind in Panik zu geraten und man versucht noch mehr festzuhalten. Das äußert sich dann oft in Kritik oder Erwartungen und das stößt den anderen wiederum weg, der vielleicht unabhängiger sein möchte, weil in seiner Kindheit die Übergriffe so stark waren, so dass er nicht zu viel Nähe möchte und er daher Bindungsängste mitbringt. Wenn zu viel Druck von der anderen Seite kommt – „Ich möchte, dass du immer da bist und noch mehr gibst“ – flieht der andere noch mehr. Sein großer Wunsch ist Freiheit. Wenn man ihn loslässt, ist er zwar immer mal weg, kommt aber dann meistens wieder zurück. Diese Dynamik, dass einer mehr will als der andere, kommt sehr, sehr häufig vor. Es ist ein riesiger Spiegel, damit beide wachsen können. Letztendlich basiert der Konflikt auf einer Verletzung, die beide in der Kindheit erlebt haben. Der eine hat dadurch Verlustangst, der Bindungsangst.
Wie kann man Vertrauen aufbauen, wenn man in dem Spiel von Distanz und Nähe gefangen ist? Wenn der eine mehr Sicherheit braucht als der andere?
Vertrauen heißt nicht, dass der andere immer das tut, was ich erwarte. Dann werde ich nur enttäuscht. Vertrauen heißt, nicht der anderen Person zu vertrauen, sondern einer übergeordneten Kraft, einer höheren Intelligenz, einem höheren Bewusstsein. Dann vertraue ich, dass alles, was mir im Leben begegnet, eine Bereicherung ist, die dazu dient, ins Wachstum zu kommen. Vor allem die schwierigen Situationen, bei denen man Lösungen finden muss. Wenn alles immer gleichbleiben würde, wo gibt es dann Wachstum? Wenn ich in der Hingabe bin, kann ich zwar mein Bestes geben, aber jede Erwartung an das Ergebnis loslassen. Dies ist das Ende des Leidens.
Es liegt so nahe, erst einmal von dem Anderen Beweise dafür zu erwarten, dass man ihm vertrauen kann. Funktioniert das?
Wenn ich vom Anderen Beweise möchte, spiegele ich nur zurück, dass in mir eine große Leere ist: „Du bist verantwortlich, dass ich glücklich bin!“ Das kommt aus dem Ego und einem reinen Mangeldenken. Es ist wichtig, dahin zu schauen. Wenn ich immer wieder eifersüchtig bin und von meinem Partner erwarte, dass er mir zeigt, dass er mich liebt, damit ich mich sicher fühle, baue ich einen enormen Druck auf den anderen auf. Dann kann mein Gegenüber auch nicht mehr authentisch sein, weil er immer aufpassen muss, keine Verletzung auszulösen. Es mag sein, dass einer mehr Sicherheit braucht, weil er in der Vergangenheit ein Trauma erlebte und erwartet, dass der Andere nicht anderen Männern oder Frauen nachschaut oder mit anderen ausgeht, damit man sich sicher fühlt. Der Partner kann sich aber jederzeit auch daraus zurückziehen und muss das nicht erfüllen. Dann spricht man miteinander und überlegt sich gemeinsam, was ist mein Bedürfnis und was ist dein Bedürfnis. Wenn das für den anderen ein zu starker Einschnitt ist, ist es besser, dass man sich trennt. Oft verbiegen sich die Partner sehr stark, um die Wünsche des anderen zu erfüllen. Das ist bis zu einer Grenze manchmal auch in Ordnung, wenn ich das aus dem Herzen heraus mache. Liebe heißt, ich kann den anderen nehmen, wie er ist. Ich kann ihm zwar meine Wünsche sagen, aber bin nicht sauer, wenn er sich anders verhält. Ich kann ja zu jeder Zeit entscheiden, ob ich bleibe oder gehe. In Frieden.
Ist Eifersucht ein mangelndes Vertrauen in den anderen oder eher in mich selbst?
Wenn ich mir selbst und dem Leben vertraue, dass ich immer den Partner anziehe, der zu mir passt, bin ich offen dafür, dass die Beziehung irgendwann auch zu Ende sein kann und dann ein neuer Partner kommt, mit dem ich auch glücklich sein kann. Letztendlich weist es meistens auf weniger Selbstwert hin, wenn ich den anderen festhalten will. Wenn ich etwas brauche, um mich sicher zu fühlen, verhindert das den freien Fluss der Liebe. Wenn der andere sich eingeengt fühlt, weil zu viel Eifersucht da ist, zieht er sich in der Regel zurück.
Wie geht man am besten mit einem großen Vertrauensbruch um, wenn man z. B. erfährt, dass der Partner fremdgeht, vielleicht sogar schon seit vielen Jahren?
Für denjenigen, der aus der Beziehung ausgebrochen ist, gilt es zu schauen, welche Bedürfnisse beim Seitensprung erfüllt wurden. Gibt es etwas, das ich vermisse, etwas das ich hier auslebe, das ich so in meiner Beziehung nicht mehr habe? Wie wichtig ist mir das oder ist mir die Beziehung wichtiger? Wo lag der Mangel in der Beziehung, aber auch in mir? Welchen Input brauchte ich? Liegt es an meiner Bindungsangst?
Für den, der betrogen wurde, ist es schwieriger. Die Enttäuschung ist groß. Auch da gilt es, sämtliche Erwartungen loszulassen, erstmal für sich zu sein und dann in die Kommunikation zu gehen und ganz wertfrei zu sprechen. Was hat dir gefehlt? Was brauchst du? Um dann zu überlegen, ob ich das überhaupt geben kann und will und daraus die Konsequenzen zu ziehen. Es ist nicht einfach, das Vertrauen wieder zu finden. Letztendlich geht das nur durch Vergebung. Vergebung beginnt damit, dass ich erstmal meine Wut rauslasse und dann sehen kann: Das ist das Leben! Ich vertraue dem Leben und schaue, wie ich dadurch ins Wachstum komme. Danach kann ich versuchen, zu verzeihen. Ich weiß, es hatte alles einen tieferen Grund. Ich spreche mit dem Partner und möchte verstehen, was ihm gefehlt hat. Ich kann überlegen, ob ich ihm irgendwo entgegenkomme, wir also einen Kompromiss finden oder genauso bleibe, wie ich bin. Entweder ich vergebe ihm, weil ich verstehe, dass er nicht anders konnte, oder ich ziehe die Konsequenzen, wenn ich das Gefühl habe, dass wir uns nicht mehr annähern können.
Den anderen durch wertfreie Kommunikation zu verstehen ist der wichtigste Weg, um wieder ins Vertrauen zu kommen.
Wie sieht denn die ideale Beziehung aus?
Die ideale Beziehung ist bedingungslos. Ich nehme den anderen an, wie er ist, lasse ihn los und schaue trotzdem, dass ich alles für die Beziehung gebe, viel kommuniziere und nicht gleich aufgebe. Trotzdem habe ich das Vertrauen, dass es so wie es sich entwickelt richtig ist. Ich will den anderen nicht ändern. Ich habe vielleicht Präferenzen und Wünsche wie der andere sich verhalten soll, aber die Erwartung fällt weg. Das ist die Hingabe an das, was ist. Das schweißt so unglaublich zusammen, weil jeder sein authentisches Leben leben kann.
Das Interview führte Anita Maas.