Mehr denn je möchten viele Menschen gerade die Welt verändern, denn sie ist in einem desolaten Zustand. Und es scheint, als habe man etliche Möglichkeiten, bei dieser Transformation zu helfen. Man kann helfen, indem man sich politisch engagiert, umweltbewusst lebt, sich per Demonstration oder anderer äußerer Meinungskundgebungen für Frieden einsetzt oder indem man versucht, den dunklen Machenschaften der Mächtigen irgendwie auf die Schliche zu kommen. Aber wenn wir ganz ehrlich sind, müssen wir erkennen, dass wir auf das Allermeiste in der Welt keinen wirklichen Einfluss haben. Aber eine ganz bestimmte Sache können verändern und das mit sehr großer Wirkung!
Der Wandel in Dir
Es ist sicher gut und richtig, seinen Lebenswandel bewusst zu wählen, aber die Erderwärmung können wir damit nicht stoppen. Es ist ehrenwert, für eine gute Sache auf die Straße zu gehen. Aber wie oft führen selbst massivste Proteste zu wirklicher Veränderung? Eine Sache aber können wir ganz sicher verändern, und keine Macht der Welt kann dies verhindern: uns selbst. Und weil diese Veränderung nicht zu stoppen ist und weil durch ihre Ausstrahlung mehr bewirkt werden kann als durch jedes Protestplakat, könnte man sagen, dass dies die revolutionärste Transformation ist, zu der wir als Menschen fähig sind.
Viele spirituell Suchende tragen diesen Wunsch als tiefe Motivation in sich. Sie wollen anders werden, als sie gerade sind. Sie wollen wachsen, lernen und sich – wie es die Yogis beschreiben würden – immer mehr erinnern. Erinnern an dieses in uns wohnende, vollkommene Selbst, das von Tausenderlei von Schleiern verhüllt ist. Aber wie kann man sich selbst auf diese Weise verändern? Nicht auf eine vage, esoterisch ungreifbare Art, sondern ganz praktisch? Es geht um einen reaktiven Prozess und wie man diesen abstellen kann.
Die innere Stimme
In meinem Beruf muss ich immer wieder reisen. Und irgendwann habe ich festgestellt, dass eine bevorstehende Reise immer wieder etwas Gleiches in mir ausgelöst hat. Es entstand eine Art von Anspannung. Ein innerer Widerstand, eine Ablehnung gegen dieses sich Wegbewegens, die mich schon Tage vor dem eigentlichen Ereignis in einen gewissen Stress versetzt hat. Mein Geist flüsterte, ohne dass ich es zunächst bemerkt habe, die ganze Zeit: „Ich will eigentlich nicht weg. Ich will daheimbleiben. Warum muss das sein, dass ich immer wieder reisen muss?“
Es war nicht so, dass ich ein bewusstes Problem mit den Reisen gehabt hätte oder dass mir das Reisen, wenn ich dann unterwegs war, schwergefallen wäre oder mich besonders gestresst hätte. Nein, diese innere Auflehnung war eine automatische Reaktion. Ein Prozess, der immer ablief, ganz unabhängig von den tatsächlichen Gegebenheiten. Ich habe dann lange gesagt: Naja, ich reise halt nicht so gerne. Aber aus welchem Grund? Und vor allem, wie bringt mich das weiter, wenn ich aber doch reisen muss?
Die Ebenen des Bewusstseins
Paramhansa Yogananda, der große Meister und Autor der „Autobiographie eines Yogi“, erklärte, dass es drei Bewusstseinsebenen gibt: das Unterbewusstsein, das Bewusstsein und das Überbewusstsein. Verkürzt könnte man sagen, dass das Überbewusstsein der Bereich wahrer Intuition ist, eine Ebene, auf der bereits alle Ideen vorhanden sind und in der es keine Probleme gibt, sondern nur Lösungen.
Auf der Ebene des Überbewusstseins ist alles miteinander verbunden. Das Bewusstsein hingegen ist unser Geist in seinem alltäglichen Zustand. Es agiert, wenn wir wach sind. Es ist unser Intellekt, der analysiert, unterscheidet und in der Trennung der Dinge vor allem Probleme erkennt. Das Unterbewusstsein, sagt Yogananda, funktioniert im Grunde wie ein Computer. Es wird programmiert und wirft das aus, was man eingegeben hat. Somit ist das Unterbewusstsein eine grandiose Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen – wie beim Binden von Schuhen, dem man, einmal erlernt, keine bewusste Beachtung mehr schenken muss, damit es perfekt ausgeführt werden kann. Problematisch wird es allerdings, wenn das Unterbewusstsein Bereiche unseres Handelns bestimmt, in denen wir eigentlich lieber frei sein sollten. Dieses automatische, durch das Unterbewusstsein gesteuerte Handeln hat Yogananda als den „reaktiven Prozess“ bezeichnet.
Das ist sehr treffend, denn es sagt genau das aus, was auch passiert. Als Reaktion auf einen äußeren Reiz rollt ein unbewusster Prozess oder Automatismus ab. Genauso wie bei mir und meinem Widerstand gegen das Reisen. Und wenn wir uns umschauen, müssen wir sagen, dass ein großer Teil menschlichen Handelns genau von solchen ins Unterbewusstsein geschnitzten Furchen geleitet, also von automatischen Reaktionen bestimmt wird. Menschen werden dann in ihrem Handeln vorhersehbar. Wir sind fröhlich, wenn die Sonne scheint, oder betrübt, wenn es regnet und wir sind glücklich, wenn wir gelobt werden, und erbost, wenn man uns kritisiert. Wir entspannen uns in der Freizeit, sind während der Arbeit gestresst, bekommen leuchtende Augen bei dem Essen, das wir mögen, und verziehen den Mund bei dem, was uns nicht schmeckt.
Täglich geht man robotern
Das Problem dabei ist, dass wir in diesem reaktiven Prozess nicht frei sind. Unser Handeln, das Gesprochene und sogar unsere Gefühle sind nicht angemessen in Bezug auf das, was uns begegnet. Wir reproduzieren wie ein Roboter das, was irgendwann einmal in unserem Unterbewusstsein gelandet ist. Jeder kennt es, wenn man bei uns gewisse „Knöpfe drückt“. Dann kann man scheinbar gar nicht anders, als mit Ärger, Wut oder Selbstrechtfertigung zu reagieren. Sicherlich haben die meisten schon einmal erfahren, dass sie etwas für eine riesige Katastrophe gehalten haben, was sich im Nachhinein als großer Segen entpuppt hat. Oder dass sie vor etwas Angst hatten, das dann ganz schön war. Oder umgekehrt, dass sie sich unbändig auf etwas gefreut haben, das langweilig oder unangenehm wurde.
Das Verrückte dabei ist, dass sich diese automatischen Reaktionen, rückblickend betrachtet, meist als völlig unnütz herausstellen. Welchen Nutzen hat es, sich Sorgen zu machen, wenn man gar nicht wissen kann, wie etwas sein wird? Und wenn man im Jetzt daran ohnehin gar nichts ändern kann – jedenfalls nicht, indem man sich Sorgen macht? Inwieweit bringt es uns voran, wenn wir aus Wut oder verletztem Stolz anderen wehtun, nur weil ein blindwütiger Verteidigungsmechanismus in Gang kam? Was war daran hilfreich, dass ich Stress vor den Reisen hatte, obwohl diese Reisen an sich immer unproblematisch, meist sogar bereichernd waren?
Mach Dich frei
Wenn wir es schaffen, die fest ins Unterbewusstsein geritzten Bahnen zu verlassen und sowohl angemessen als auch frei dem zu begegnen, was uns gegenübersteht, dann ist dies ganz sicher eine wichtige Transformation auf unserem Weg und ein großer Gewinn an Freiheit. Nicht die Beschränkungen sind das Menschliche, sondern solange wir unfrei sind, sind wir, wie Yogananda sagte, noch nicht ganz Mensch. Wie aber kommen wir heraus aus dem Griff des reaktiven Prozesses? Hier einige Vorschläge für Gegenmaßnahmen:
Wach sein
Es hilft, das Anrollen des Prozesses zu unterbinden, indem man gleich den ersten Gedanken einkassiert, den das Unterbewusstsein in solchen Situationen ausspuckt. Wenn wir zu Tante Anni fahren und beim Einsteigen ins Auto der Gedanke kommt: „Das wird bestimmt wieder totlangweilig“, wäre es eine gute Praxis, diesen Gedanken gleich wieder aufzulösen und ihm vielleicht entgegenzuhalten, dass wir es einfach nicht wissen können. Dass ja Tante Anni heute in einer ganz außergewöhnlichen Stimmung sein könnte, sodass wir erstaunt darüber sind, wie rührend oder interessant der Besuch wurde. Man verpasst dem Geist eine Leine wie einem zappeligen Hund und gestattet ihm, diese unsinnigen Ausflüge einfach nicht.
Pranayama machen
Pranayama bedeutet wörtlich „Kontrolle der Lebensenergie“, und da wir ja versuchen wollen, den reaktiven Prozess in den Griff zu bekommen, liegt nahe, weshalb Pranayama hilfreich ist. Übungen des Pranayama beziehen sich in der Regel auf die Kontrolle des Atems, und viele werden Erfahrungen damit haben, wie eine bewusste Atmung zum Beispiel bei Stress oder Schock helfen kann. Pranayama beruhigt die aufgewirbelten Emotionen und lässt uns somit freier handeln.
Meditieren
Meditation wirkt sich positiv auf alle Bereiche des Lebens aus. Beim Meditieren sind Regelmäßigkeit und Beständigkeit besonders wichtig, und allein die Energieentfaltung einer täglichen Disziplin hilft dabei, eine ganz neue Kontrolle über das eigene Leben zu erlangen. Meditation gibt uns unter anderem ein wacheres Bewusstsein, größere Ruhe, mehr Freude und Energie und ist so ein großes Geschenk, das hilft, mit den Herausforderungen des Lebens umzugehen. Yogananda lehrte vor allem die Meditationstechnik des Kriya Yoga, in welche man eingeweiht wird. Aber auch die recht schlichte Hong So-Technik, mit deren Hilfe ich einmal innerhalb von kürzester Zeit eine Panik-Attacke in den Griff bekam, hat eine sehr tiefe Wirkung.
Eine positive Einstellung kultivieren und dankbar sein
Yogananda lehrte, die grundsätzliche Einstellung des Yogis müsse jederzeit gleichmütig und fröhlich sein. Wir versuchen also, alles, was kommt, ruhig und mit Freude anzunehmen und dem Leben positiv entgegenzublicken. Die Energie fließt in die Richtung, in die wir schauen. Wenn wir also, wo immer wir hinsehen, Probleme wahrnehmen, können uns auch nichts als Probleme begegnen. Deshalb ist es gut, den Geist darauf zu trainieren, immer die schönen und guten Aspekte einer Sache zu sehen. So wird es uns zur zweiten Natur, dankbar zu sein für die Geschenke und Wunder, die sich hinter den Erscheinungen des Lebens verbergen. Auch Affirmationen helfen uns dabei, uns fest zu verwurzeln in einem ruhigen, freudigen Blick auf die Welt. Und so erstaunlich es klingen mag, Yogananda sagte: Wir können uns dazu entscheiden, glücklich zu sein.
Wenn ich heute reise, spüre ich immer noch eine leichte Anspannung an den Tagen zuvor. Aber es gibt diesen automatischen Widerstand nicht mehr, und irgendwie kann ich nun auch auf Reisen zuhause sein. Es ist also möglich, den reaktiven Prozess in den Griff zu bekommen. Das fühlt sich freier an. Ein Stück weniger Roboter. Ein Stück mehr Mensch.
@Allversum https://www.allversum.com/ (geschrieben von Tobias Philippen)